Lindau, den 20.9.59


Es ist nach wie vor sehr eigenartig für mich, die Briefe meines vierundzwanzigjährigen Vaters zu lesen und dabei nicht zu wissen, was meine Mutter geantwortet und gefragt hat. Manches ist offensichtlich; in den meisten Briefen, die ich bis jetzt durchgesehen habe, scheint mein Vater das Schreiben meiner Mutter abzuarbeiten, weshalb er oft zwischen Themen zu springen scheint.
Was mir in diesen ersten Briefen nur vage ersichtlich war, verstärkt sich später noch: Mein Vater war einsam, obwohl er viele Freunde hatte und offenbar zuvor auch eine Freundin. Aber ich will nicht zu viel verraten; es ist erstaunlich, wie viel mit der weiteren Korrespondenz zu Tage tritt, wovon ich nichts wusste.

Was ich aber sehr schön finde: Immer wieder schimmert etwas wie Heimatfilm und Urlaubsstimmung durch. Ich weiß, wie wunderbar meine Mutter den ersten Besuch am Bodensee fand, wo keine Kriegsschäden zu sehen waren und man sich einbilden konnte, alles wäre himmelblau und rosarot. Als geborene Kölnerin war für sie der Unterschied frappant – selbst ich kann mich noch an Trümmergrundstücke in Bonn erinnern, die erst im Laufe der 1970er beseitigt wurden.

Zu meiner Mutter bekomme ich übrigens noch einmal eine andere Einstellung, aber dazu vielleicht beim nächsten Mal mehr.