Liebe Anita, tausend Dank für Deinen herzigen Brief.
Es ist nett von Dir, dass du viel an Lindau denkst. Dabei hoffe auch ich, nie vergessen zu werden. Du wirst doch meinen Briefen erhalten haben? Am Dienstag habe ich um 15:00 Uhr zu arbeiten aufgehört, um zum Zahnarzt zu gehen. Zuvor bin ich nach Haus, um mich umzukleiden. Ich hatte schon so eine Vorahnung, von Dir Post vorzufinden, und wurde auch nicht enttäuscht. Die Freude, von Dir zu hören, ließ mich beim Zahnarzt die Schmerzen vergessen.
Wie kannst du nur denken, dass ich Deine Briefe in den Aschenbecher werfen werde. Ich möchte gerne wissen, ob Du mich auch ein wenig liebst. Meine Liebe habe ich Dir versprochen und will sie auch nur Dir schenken. Wenn ich mal in Bonn bin, möchte ich auch ins „Tabu“ gehen, natürlich nur mit Dir. Entschuldige bitte, wenn ich sehr neugierig bin. Aber ich wüsste gern, ob ein Freund dabei war oder ob Du einen hast. Die „weiße Maus“ ist ein heiteres und nettes Andenken, Ja, die Hetze des Alltags scheint alle Menschen, ob jung oder alt, zu plagen. Arbeiten bleibt uns mal nicht erspart, deshalb lassen wir doch nicht gleich die Stimmung fallen. Mit Humor geht alles leichter.
Am Sonntag war ich zum Kurkonzert am Hafen und habe mir das Treiben der Fremden angesehen. Baden war ich nicht, dazu es mir zu frisch und windig. Nachts und in der Früh wird es schon sehr kühl, tags ist schönes und warmes Wetter. Aber auch das schlechteste Wetter kann mich nicht trübe stimmen, wenn Du mir öfters ein wenig schreibst.
Mit Sehnsucht im Herzen
grüßt dich lieb
Dein Alfred
Mein Vater hat es mir gegenüber oft erwähnt, wie sehr er darunter litt, keine höhere Bildung erhalten zu haben; immer war er zurückhaltend, wenn es ums Schreiben ging.
Was zu der – für mich bis heute unvergessenen – Größe führte, mich schon als Achtjährige zu bitten, ihn zu korrigieren, wenn er etwas falsch geschrieben haben sollte. Als Leseratte, Aufsatzschreiberin und im Fach Deutsch mit einer Eins belohnten Tochter hielt er mich für kompetent genug, das zu tun. Ohne, dass er sich dafür geschämt hätte.
Ich glaube, das ist eine meiner wichtigsten und schönsten Erinnerungen an ihn.