Kategorie: Autorinnenleben

  • Cliffhanger: gut oder böse?

    Cliffhanger: gut oder böse?

    Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass Cliffhanger ein hinterhältiges und verabscheuungswürdiges Marketingmittel sind, um unschuldige Zuschauerinnen und/oder Leserinnen an die Kette zu legen und sie damit zu zwingen, den nächsten Film, die nächste Folge oder den nächsten Band zu kaufen. Wenn sie es nicht tun, werden sie nie, nie, nie erfahren, wie es ausgeht. Eine Qual sondergleichen.


    Gemeine Autorin beim Aushecken heimttückischer Gemeinheiten

    Also ganz klar: Cliffhanger sind böse! Offiziell sollten sie verboten werden und jede Autorin, die diesen heimtückischen Trick anwendet, sollte bestraft werden. Indem man beispielsweise die nächste Folge nicht kauft, nicht leiht, nicht liest. Ha! Das hat sie davon! Das wird sie sich merken!

    Was kann ich sagen? Mea culpa vielleicht? Sorry? Oder vielmehr: Sorry, not sorry?

    Hmm. Warum bin ich so verstockt? Vielleicht, weil ich denke, dass sie manchmal nötig sind? Sind sie nämlich. Aus einem ganz einfachen Grund: Irgendwann muss ein Buch ein Ende haben.

    Ja, ha, könntest du nun sagen, dann schreib halt ein Ende. Ein Cliffhanger ist, bitte schön, keine Ende, sondern die Aussicht auf mehr.

    Da sage ich zweierlei:

    • Die Aussicht auf mehr – das ist doch eigentlich schön, wenn du die Geschichte genossen hast und die handelnden Personen magst.
      (Und wenn du die Geschichte nicht mochtest, dann solltest du gar nicht erst bis zum Cliffhanger gekommen sein, denn warum Zeit verschwenden mit einem Buch, das dich nicht mitnimmt? Mit Figuren, die du nicht erträgst? Ereignissen, die dich nerven?)
    • Und wenn es nicht nur eine Buchreihe ist (also nahezu alleinstehende Romane, die lose miteinander verbunden sind), sondern eine Serie, dann gibt es eben neben dem Plot des einzelnen Bandes auch den serienübergreifenden Plot.
      Heißt, die Hauptfigur hat eine eigene Geschichte, die sich im Laufe mehrer Folgen entwickelt und erklärt. Sie hat Geheimnisse, Hoffnungen, erlebt Gefahren und Freudiges, nimmt uns mit in ihr Leben. Und da mag es sein, dass ihre Story genau dann zu einem wichtigen Punkt kommt, wenn die Handlung des einzelnen Buchs an ihr Ende kommt. Da ist er dann: Der Cliffhanger.

    Und zwar ein Cliffhanger, der einfach sein muss. Weil er Überleitung zur nächsten Folge ist. Weil alle anderen Fragen geklärt sind. Weil ein Buch nicht unendlich lang sein kann. Weil die Autorin auch mal durchatmen muss. Und weil es im Miteinander zwischen Leserin und Schreiberin doch auch immer ein bisschen Spiel geben sollte. Da sitzen wir nämlich nun beide, schauen uns erwartungsvoll an und fragen uns:

    Was passiert denn jetzt?

    Tja. Das ist ein bisschen wie Weihnachten in der Kindheit: ganz viel Ungeduld, herrlich aufregende Spannung, ein bisschen Spicken und Stöbern und dann endlich das ersehnte Geschenk, das hoffentlich genau das bringt, was man sich erhofft hat. Im Idealfall den nächsten Cliffhanger …

  • Wenn die Geschichte in dunklen Zeiten spielt

    Wenn die Geschichte in dunklen Zeiten spielt

  • Verlag oder Indie?

    Verlag oder Indie?

    Es gibt natürlich hunderte von Artikeln, Kolumnen und Beiträgen zu diesem Thema und solltest du eine Autorin am Anfang ihres Weges sein, dann kennst du vermutlich bereits alle und weiß somit bestens Bescheid über das Für und Wider jeder Möglichkeit. Da kann ich dir nichts Neues sagen.

    Das ist aber auch gar nicht mein Bestreben, denn ich schreibe für dich als Leserin. Oder genauer gesagt: Alles, was ich schreibe, schreibe ich für Leserinnen, ob das meine Romane sind oder ein Post auf Instagram oder eben dieser Artikel hier. Mit Kolleginnen kommuniziere ich lieber per Mail und Chat und live (was ich aber auch gerne mit Leserinnen tue).

    Um was geht es also heute?
    Weiß ich, ehrlich gesagt, noch gar nicht so genau. Aber das Thema brennt mir seit einiger Zeit schon auf der Seele, weil ich immer wieder in Diskussionen dazu gerate. Auch weil ich zu viele Artikel zum Thema ‚Der arme Verlag‘ gelesen habe während der letzten Wochen. Wobei mir irgendwann doch sehr aufstieß, wie es dabei immer um Existenzgrundlagen ging. Und zwar um diejenigen der Verlagsangestellten, der Buchhändlerinnen, der Vertriebler und der externen Mitarbeiterinnen wie Coverdesignerinnen, Lektorinnen und Korrektorinnen.

    Die – wohl gemerkt – natürlich von ihrem Job leben sollen können. Nur nie erwähnt wurden die Autorinnen. Also mal so gar nicht, sieht man von Nebensätzen ab, in denen man vielleicht sagte, es sollten die Autorinnen unterstützen, es wäre ja im eigenen Interesse, wenn alle gut verdienten, dann bekämen sie ja auch mehr. Doch an erster Stelle kamen diejenigen, die von der Arbeit dieser einer Person leben wollen. Und da sah ich also all diejenigen Kolleginnen und Kollegen vor meinem geistigen Auge an ihrem Schreibtisch hocken, Wort an Wort suchend und aneinanderreihend und dabei die Last von mehr als einem Dutzend Personen auf den Schultern tragend.

    Der Unterschied ist halt: Die meisten dieser Personen sind fest angestellt und haben einen Lohn, der in der Regel höher ist als der Durchschnittsverdienst einer Autorin. Deutlich höher. Also sehr viel höher. Vom Schreiben nämlich leben die Wenigsten, die meisten Kolleginnen, die nicht zu den Bestsellerköniginnen zählen, haben einen Hauptberuf und schreiben in der Freizeit, die noch bleibt. Und haben sich viel zu oft daran gewöhnt, gar nicht erst zu erwarten, von ihrem ‚Hobby‘ mehr zu haben als ein nettes Abendessen alle paar Wochen. Weil Kunst und Kultur und so. Und hey: Das ist doch Ruhm und Ehre genug, auf dem Titel eines Buches genannt zu werden und dieses Buch womöglich sogar im lokalen Buchhandel zu finden. (Selbstverständlich nicht, wenn dein Verlag nicht zu den Großen gehört und du dich gerne in einer der Ketten finden möchtest, die – das sollte mal nicht vergessen werden – den unabhängigen Buchhandel wirksamer zerstören, als Amazon es könnte.)

    Ja, und logisch schließt sich an diese Diskussion immer das Geschimpfe über das (auf alle Fälle viel zu mächtige und) große A an, das böse Bedingungen diktiert und alles kaputt macht. Und ja, da gibt es vieles, was verbessert und abgeschafft werden muss, von Steuerschlupflöchern bis zu miesen Arbeitsbedingungen. Aber das viel größere Problem für Verlage vor allem dürfte sein, wie ausgesprochen kulant und hilfsbereit Amazon ist, wenn es darum geht, als Autorin von der eigenen Arbeit so gut leben zu können, wie es für die vorher genannten Personengruppen gilt.

    Tja, jetzt könnte man meinen, ich wäre zur Indieautorin geworden, weil ich Geld verdienen wollte. Da muss ich sagen: So klug war ich lange Zeit nicht einmal, als dass ich mir um solche egoistischen Luxusgüter wie Essen, Trinken, Rente Gedanken gemacht hätte. Ich habe nämlich einfach nur meine erste Geschichte geschrieben und sie bei Amazon hochgeladen, weil ich viel zu ängstlich und schüchtern war, um Agenturen anzuschreiben. Deren Webauftritte sind in der Regel alles anderes als einladend und der Ton, in dem Bedingungen und Forderungen dort aufgelistet sind, geht mehr so in Richtung: Du, die du hier eintrittst, lass alle Hoffnung fahren!

    Hat auf mich gewirkt, ich habe keine einzige Agentur angeschrieben. Und wollte meinen verschwundenen Professor einfach in täglich kleinen Portionen auf meinem Blog veröffentlichen. Was mir eine liebe Freundin verboten hat. Wenigstens bei Amazon könnte ich es doch einstellen, da könnten es meine Blogleserinnen kaufen. Punkt.

    Ich gehorchte, erzählte auch, ich habe da einen Krimi geschrieben, aber den müsst ihr nicht kaufen, ist ja alles nur Spielerei und so peinlich. Aber etwa zwanzig kauften ihn dann doch. Und ich schrieb am zweiten Band, was ich nie vorgehabt hatte. So machte ich weiter, um mir mein verhasstes Hausfrauendasein erträglicher zu machen. (Ein ganz anderes Thema und nicht für heute angedacht). Etwas wie Werbung habe ich über Jahre nicht gemacht, sondern nur auf Instagram meine Cover gezeigt – was mir ebenfalls schon peinlich genug war. Ich wagte ja nicht einmal in Gedanken, mich Autorin zu nennen.

    Ich bin also in das Indieautorinnenleben reingerutscht und kam dadurch dann auch zu zwei Verlagen. Ohne Frage: Die Zusammenarbeit war toll, ich mag die Leute alle sehr, es hat Spaß bereitet und natürlich ist ein absolutes Hochgefühl, von einem Verlag angeschrieben zu werden mit der Frage, ob man nicht etwas für sie schreiben wolle. Was zudem zu einem guten Zeitpunkt geschah: Meine Mutter war eben in die Demenz-WG umgezogen und machte dort die allergrößten Schwierigkeiten. Ich kam eben aus der Wohnung, mühsam nicht heulend und vollkommen geschafft, als mein Handy klingelte. Eine neue eMail. Ich schaue hinein und ja, das war das Highlight des Monats. Natürlich habe ich zugesagt und will seit langem schon einen weiteren Band für dp schreiben. Klappt nur irgendwie nicht.

    Weil mein Schreibkalender voll ist bis obenhin. Weil ich zu viele Ideen habe, die ich verwirklichen möchte.

    Aber auch, weil ich schneller bin als ein Verlag. Weil ich mittlerweile weiß, dass ich ein Kontrollfreak bin. Weil ich mich nicht in der Länge meines Romans einschränken lassen will. Weil ich alleine entscheiden will, ob nun dieses oder jenes passiert.
    Nun war es nicht so, als hätte man mir etwas vorgeschrieben oder als wäre mein Text unkenntlich aus dem Lektorat gekommen (im Gegenteil wurde gar nichts geändert, was mich dann doch auch sehr wunderte). Nein, die Zusammenarbeit war toll. Aber sobald das Buch veröffentlicht war, hatte ich nichts mehr damit zu tun. Es fühlte sich nicht an wie meine Arbeit. Und das fühlt sich nicht gut an. Es ist ein bisschen so, als wäre mein kleines Kind zum Spielen bei einem Freund und dann riefen die Freundeseltern an und teilten mir mit, der bleibt jetzt bei uns, der kommt nicht wieder zu euch nach Hause. Und ich würde nur mit den Schultern zucken und sagen, das wäre schon ok. Grässlich, oder?

    Für mich und meinen Charakter kann es nur das Indieautorinnenleben geben. Ich trage die Verantwortung an allem, arbeite täglich lange und hart an allen möglichen Aspekten dieses Berufs, mache mich damit oft genug vollkommen verrückt und fertig, aber ich liebe jede Minute davon. Mir gefällt das Cover nicht mehr, ich habe eine neue Serienidee, ich habe gelernt, einen besseren Klappentext zu schreiben, ich will diese Geschichte nicht mehr veröffentlichen? Alles eine Sache von Minuten, Stunden, Tagen und es ist so, wie ich das will. Ich kann auf alles reagieren, wie ich es möchte, ich muss mich mit niemandem absprechen, ich muss nicht bitten und betteln und ich kann – nahezu – für mein Essen, Trinken und die Rente sorgen. Dabei bin ich so abhängig wie wir alle von allen möglichen Gegebenheiten, aber doch so frei, wie es nur geht.

    Also ganz klar: Indie von ganzem Herzen!

  • Wenn es eigentlich gut voran geht, aber …

    Wenn es eigentlich gut voran geht, aber …

    Wie offen und ehrlich darf ich eigentlich aus meinem Autorinnenleben berichten, ohne es mir noch schwerer zu machen, als es gelegentlich ist? Ich habe keine Ahnung, deshalb tue ich, was ich immer tue: Ich schreibe einfach drauf los und schaue, wohin es mich führt und wo es endet.

    Um was geht es mir heute?
    Um Luise, mein aktuelles Projekt. Ein Projekt, das ich sehr liebe und mit dem ich sehr gut vorankommen; das Schreiben bereitet mir unglaublich viel Freude, ich mag die Figuren und ich mag es auch, mich stärker als sonst an historischen Ereignissen entlangzuhangeln. Das 18. Jahrhundert – ich hatte es schon erwähnt – hat mich schon als Jugendliche enorm fasziniert und mich nun darin zu bewegen, in seinen letzten Jahren, fühlt sich gut an. Obwohl ich mich nicht an tragischen und dramatischen Fakten werde vorbeimogeln können. Versuche mal, per Google irgendetwas aus dem Jahr 1789 herauszufinden, was nicht mit der Französischen Revolution zu tun hat. Da heißt es scrollen, scrollen, scrollen, bis man den gesuchten Mondkalender oder eine Wetteraufzeichnung oder eine Modezeitschrift gefunden hat zwischen all den Einträgen zu den Generalständen, dem Sturm auf die Bastille oder dem Marsch nach Versailles. Und es ist ja auch diese Revolution, die mich als Jugendliche dazu gebracht hat, mich mit dieser Zeit zu befassen und wissen zu wollen, was mit dem ancien régime auf sich hatte. Ich las mich rückwärts durch, bis ich im Jahrhundert davor beim Sonnenkönig angelangt war, und arbeitete mich noch einige Male vor und zurück, wurde dabei zum Pompadour-Fangirl und begeisterter Leserin französischer Romane dieser Zeit.
    Und nun schreibe ich darüber. Keine Biografie, sondern eine Liebesgeschichte oder vielmehr die Geschichte eines Paares, das aus scheinbar guten Tagen heraus in einer Welt aufwacht, die beängstigend und fremd ist. Und zugleich weit weg scheint, denn die Geschichte spielt in Bonn. Die Auswirkungen der Revolution im Nachbarland sind auch in der Stadt am Rhein; danach wird das Leben ein anderes sein.

    Es fällt mir schwer – ähnlich wie bei Emma Schumacher und ihrer Zeit – nicht Ähnlichkeiten und Vergleich zu unserer Gegenwart zu ziehen. Wir schwanken ja auch zwischen dem (trügerischen) Eindruck, die Ukraine, der Iran, der Sudan wären weit fort und hätten nichts mit uns zu tun, und einer unterschwellig immer vorhandenen Angst vor dem, was kommen mag.
    Ja, und jetzt frage ich mich, ob es eben diese Ähnlichkeit ist oder der Horror der Französischen Revolution und des terreurs oder schlicht eine Modefrage, die dafür sorgen, dass nur ich und eine winzig, winzig kleine Gruppe meiner Leserinnen Interesse an meinem aktuellen und sehr, sehr geliebten Projekt haben. Die Vorbestellungszahlen sagen klar: Wollen wir nicht. Lass es bleiben. Das ist nix. Iiih. Bäh. Gähn. Brr.

    Und da bin ich nach langer Vorrede an dem, was mich seit Tagen beschäftigt. Seit Wochen eigentlich. Oder, wenn wir es ganz genau nehmen wollen, dann beschäftigt es mich seitdem ich gemerkt habe, dass das Schreiben so weit überhand genommen hat, dass es zum Beruf wurde. Ein Beruf, den man sich bei klarem Verstand und dem Wunsch nach finanzieller Sicherheit gewiss nicht auswählt (ich denke, das durchschnittliche Gehalt einer Autorin liegt nach wie vor bei 50 €/Monat, wobei das wenig aussagekräftig ist). Ganz klar ist aber doch, so zeitfressend dieser Beruf ist, davon leben können nur wenige und die, die es können, richten ihr Schreiben häufig und notgedrungen nachdem aus, was gerade gesucht wird.
    Was gesucht wird, entscheiden übrigens nicht unbedingt die Leserinnen, sondern die Buchhandlungen, die anhand ihrer Verkäufe die gewagte Prognose stellen, was die Leserin möchte. Deshalb kommt es immer wieder zu den Häufungen eines Genres, bis der Ruf erschallt, man könne den Kram nun wirklich nicht mehr sehen. Die Verlage und vorher die Agenturen versuchen nun ebenfalls, diesen Trend vorherzusehen; da bleibt für Experimente nicht allzu viel Platz. Das ist für mich als Indieautorin etwas anders, doch das heißt nicht, dass es nicht auch für mich Trends gibt. Und dieser Trend ist gegen Luise, so will es scheinen.

    Was mich, das gestehe ich, sehr traurig macht. Und nervös. Denn ich habe schon einiges investiert in diese Trilogie, die ursprünglich nur eine zweibändige Geschichte hätte werden sollen – jetzt gerade bin ich mir nicht einmal sicher, wie ich mit drei Büchern auskommen soll, weil diese Zeit mit ihren besonderen Menschen Platz braucht. Wäre ich völlig frei in meiner Entscheidung, müsste ich also nicht dazu beitragen, dass dieser Haushalt mit seinen vier Tieren, zwei Söhnen und dem Gatten und mir überlebt, dann würde ich mir dieses Jahr nehmen und ganz entspannt nur über Luise schreiben.
    Aber das ist nicht nur eine finanzielle Frage. Das ist sie sogar am wenigsten. Es ist auch eine Frage der …
    Tja, ich weiß nicht, wie ich es nennen solle. Liebe liegt mir auf der Zunge, was doch sehr pathetisch klingt. Doch vielleicht verstehen mich da die Kolleginnen: Man ist meist doch recht allein mit dieser Arbeit, man taucht ab in eine Welt, findet sich in ihr zurecht, ringt manches Mal um das passende Wort, den weiteren Fortgang, kämpft sogar mal mit den Tränen – man ist sich selbst Motivatorin und Kritikerin und weiß dabei nie genau, ob man auf dem richtigen Weg ist. Werden die Lesefreundinnen die Geschichte mögen, werden sie die Hauptfigur lieben, werden sie sich freuen, dass ich zuletzt die Nächte durchgemacht habe, um alles zum Ende zu bringen – weiß irgendwer zu schätzen, was ich hier tue? Erhalte ich ein klein wenig von der Anerkennung und der freundschaftlichen Liebe, die meinem Tun einen Sinn gibt?

    Oder ist es das Gegenteil: Sagt man mir, das ist Mist? Und da rede ich jetzt nicht von denen, die sich beschweren, weil die Figur so oder so ist oder irgendwer irgendwann irgendwas getan hat, was diese Leserin so nicht wollte. Da bin ich längst an dem Punkt, an dem ich mir denke: Wenn es nicht gefällt, dann hilft nur Selberschreiben, hopp hopp. Als Dienstleisterin war ich mein halben Leben lang unterwegs, das bin ich nicht mehr. Ich will unterhalten und Freude bringen, mag Kontakt pflegen mit jenen, die mich gerne lesen, ich höre auch gerne auf das, was gewünscht ist. Aber maßgeschneidert für jede schreiben, kann ich nicht und will ich nicht. So wenig, wie ich nur für mich schreibe und niemanden sonst brauche. Nein, ich möchte meine Lesefreundinnen glücklich machen und mir bei manchen Szenen weiterhin vorstellen dürfen, wie A nun lacht und B sich wiedererkennt und C sich denkt, das wäre mal wieder typisch. Ich bin froh darum, einige Leserinnen so gut schon zu kennen, dass sie wahrhaftig neben mir sitzen, wenn ich arbeite.

    Doch nun stehe ich da mit meiner sehr geliebten, zauberhaften Luise, die übrigens eine Ur-Ur-Urahnin dessen Mannes sein wird, in den sich meine Lily DuPlessis, auch sie eine Schauspielerin, einhundertdreißig Jahre später verliebt. Diese kleinen Vernetzungen zwischen all meinen Serien liebe ich ja sehr, das nur am Rande. Ja, hier stehe ich und muss ihr sagen: Dich will niemand. Du bist falsch, uninteressant oder furchteinflößend. Vielleicht trägst du das falsche Kleid, vielleicht beschreibe ich dich falsch, vielleicht bist es wirklich du, die nicht stimmt. Das ist kein gutes Gefühl. Es ist sogar ein sehr mieses Gefühl, das immer weiter unter meiner Haut entlang sich ausbreitet und droht, mir die Lust an dieser Geschichte zu nehmen. Noch halte ich dagegen, wirklich macht Luise mir viel, viel, viel zu viel Freude. Sie kabbelt sich mit Philippe, wie sich all meine Heldinnen mit den Männern ihres Lebens kabbeln. Sie hat wunderbare Freundinnen, treue Freunde, eine großartige Familie. Ihr Leben ist sonnig. Sie wird klar kommen. Ich aber rappele mich jeden Tag auf, atme tief durch und sage mir, dass es auch reicht, wenn nur zehn Leserinnen sich freuen, mich Luise durch eine der aufregendsten und spannendsten Zeit Europas zu gehen.
    Und weil ich das Gefühl, eine Loserin zu sein, so halb öffentlich geteilt habe, geht es mir auch gleich besser. Nichts fühlt sich für mich nämlich schlimmer an als die Sorge, ich könnte durch Verschweigen einer subjektiven Wahrheit den Eindruck erwecken, es wäre mein Autorinnenleben happy go lucky. Das ist es nicht. Es ist harte Arbeit und es ist unglaubliches Glück und ganz viel Bangen, Zittern und Heulen. Echtes Leben halt.

  • Hoppla, da ist ein Jahr vorüber. Zeitsprünge im Roman

    Hoppla, da ist ein Jahr vorüber. Zeitsprünge im Roman

    Ach ja, das ist so eine Sache, nicht wahr? Vielleicht bilde ich es mir ein, aber das Thema taucht immer wieder in meinen diversen Feeds und Timelines und Chroniken auf und auch unter Kolleginnen wird es gelegentlich angeschnitten. Wobei ich sagen muss, dass ich mit meinen schreibenden Freundinnen eher über anderes spreche (Wie zum Henker kann es mir gelingen, gleichzeitig zu schreiben und zu leben? Ist auch nicht ganz unwichtig …).

    Also. Zeitsprünge. Nicht diejenigen, die meine Odila O’Malley unternimmt, wenn sie zurückreist in ein anderes Jahrhundert. Sondern die, die in einer Geschichte vorkommen können. Da bist du eben noch mit deiner Heldin im Jahr X unterwegs und dann blätterst du um und zack, ist es nicht X, nicht Y, sondern schon Z. Vielleicht warst du auch in A unterwegs und landest nun unversehens in H?

    Hä? Wieso? Weshalb? Warum? Was war denn bitte in der Zwischenzeit? Was ist passiert? Fehlen etwa Seiten? (Und ja, ich habe mich mal sehr, sehr über einen arg unverständlichen Sprung gewundert, bis ich gemerkt habe, dass meiner Ausgabe wahrhaftig siebzig Seiten fehlten.) So ein Zeitensprung kann verwirren und er kann offenbar auch sehr verärgern. Wieso also tut die Autorin das? Will sie schneller fertig werden? Wie ätzend!

    Wann gibt es bei mir solche Auslassungen in der Lebensgeschichte meiner Heldin?

    Bei meinem Fräulein Schumacher liegen solche Lücken in der Regel zwischen zwei Bänden – weil ich das arme Ding nicht ohne Unterlass in Mordfälle stürzen will. Das verstehen alle, da wundert sich niemand, das ist üblich, auch wenn es manchmal sehr schön ist, geht es im nächsten Roman gleich dort weiter, wo man aufgehört hat.

    Wie ist es aber im Roman selbst?

    Beim Krimi überspringe ich damit schon einmal Phasen, in denen die Ermittlung nicht vorangeht. Nicht vorangehen kann, weil man vor hundert Jahren eben nicht das Ergebnis einer DNA-Analyse aufs Handy bekommen hat. Weil sich Untersuchungen hinziehen und Überlegungen im Kreise drehen. Weil ich das nicht durch einen unglaubwürdigen Zufall beschleunigen will. Dafür reicht ein Absatz:

    Die Stimmung sank täglich noch weiter herab. Immer wieder brachten sie dieselben Ideen vor, immer wieder seufzten und stöhnten sie und Kommissar Wertheim verputzte eine Rosinenschnecke nach der anderen in der Hoffnung, sie mögen ihm den einen zündenden Einfall schenken. Doch nichts tat sich, nichts ergab sich, niemand trat ins Kommissariat und machte eine nützliche Aussage. Es sah so aus, als würden sie den Täter niemals ausfindig machen.
    Dann aber, am letzten Montag im August, sprang die Tür auf und eine junge Frau stürmte herein …

    Da ist er also, der Zack bumm Zeitensprung. Sechs Zeilen und eine Woche, ein Monat sind um. Was aber nicht das ist, was viele stört. Man weiß ja, wie langweilig es wäre, zählte ich nun auf, wie sie immerzu das Gleiche sagen, machen und denken. Damit kann man viele Seite füllen und die Leserin in den Schlaf treiben. Will man ja nicht, wenn man es auch nicht immer vermeiden kann (von wegen: Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die keiner kann.)

    Aber dann gibt es auch die echten, riesigen Zeitsprünge, in denen Monate und Jahre übersprungen werden. Manchmal sogar, ohne eine Zusammenfassung zu geben (was ich gar nicht mag). Was soll das?

    Der Grund ist – bei mir – derselbe: Es passiert in dieser Zeit nichts, was interessant zu lesen wäre. Natürlich dürfte meine Heldin auch in dieser Spanne Schönes und Schreckliches erlebt haben, aber ist es aufregend genug, um es zu berichten? In aller Ausführlichkeit?

    Ich habe das in meiner Hedwig Trilogie einige Male gemacht: Jahre übersprungen. Nicht mit einem einzigen Anlauf, ich habe nichts ausgelassen. Aber sie war im ersten Band ein sehr junges und sehr bescheidenes Dienstmädchen, das tagein tagaus zwanzig Stunden lang dieselben Aufgaben hatte. Wieder und wieder und wieder. Dinge, die ich schon geschildert hatte. Was also habe ich getan? Ich habe klargemacht, dass Hedwig kaum ein echtes Leben hatte in dieser Zeit und dass sie auch nicht die Kraft oder überhaupt die Idee hatte, daran etwas zu ändern. Weil es so den meisten Dienstmädchen ging. Ehe man sich versah, war man alt und erschöpft und abgearbeitet und das war es dann.

    Dann kam ihre Schulzeit, die ich mit einzelnen Szenen dargestellt habe. Auch hier habe ich Sprünge unternommen, bin schnell hindurch gerannt, weil auch diese Stunden, Tagen und Wochen in einer Gleichmäßigkeit vergangen, die meiner Hedwig zwar guttaten, als akkurate Aufzählung aber sehr langweilig gewesen wären. Und so sehr ich Alltägliches liebe, meine Heldinnen laut denken lasse und gerne mit Ruhe erzähle – jede Szene braucht doch ihre Berechtigung und was weder für den Fortgang der Geschichte noch zur Entwicklung der Heldin oder zum Zeitkolorit und der Atmosphäre beiträgt, kommt nicht in den Roman hinein.

    Und dann ergibt es sich manchmal – und vor diesem Problem stehe ich aktuell mit Luise & Philippe -, dass es innerhalb einer gewählten Epoche Jahre gibt, in denen einfach nicht viel geschieht. In der Französischen Revolution ist das die Zeit von Anfang 1790 bis Mitte 1792, wenn sich plötzlich alles zu überschlagen scheint. Selbst in sämtlichen Biografien, die ich über diese Zeit besitze, werden diese Monate schnell abgehandelt und mit eher banalen politischen Entscheidungen gefüllt.

    Da stehe ich also nun auch und habe beim Schreiben bemerkt, wie viel Platz ich für 1789 brauche – was so gar nicht geplant war – und wie dringend ich ins Jahr 1792, eher sogar noch weiter, muss, bevor das Leben auch in Bonn in Unruhe gerät. Ich warne hiermit offiziell vor: Nach dem Abenteuer, dass meine Berettons im Januar überstehen müssen, werde ich die nächsten Jahre zusammenfassen und dort wieder einsteigen, wenn Kurköln erste Auflösungserscheinungen zeigt.

    Und ich warne gleich noch weiter vor für die wenigen, die Luise & Philippe bis jetzt überhaupt schon begleitet haben: Band drei werde ich noch lange nicht schreiben – das wird ein Zeitsprung der anderen Art. Mich hat dann eben auch einmal der Fluch der Serie erwischt. Die Motivation, an einer sehr geliebten Geschichte zu schreiben, die niemand lesen mag, bewegt sich gegen Null. Was schade ist. Aber mich schneller zurück zu Emma bringt und zu der Überlegung, welche meiner bereits angedachten Heldinnen mich davon überzeugen können wird, ihr eine Serie zu widmen …

  • Recherche, Recherche, Recherche

    Recherche, Recherche, Recherche

    Wenn ich nicht eben eine kleine, knappe, kurze Geschichte schreibe, die in einem luftleeren Raum spielt, dann muss ich recherchieren.
    Mal mehr, mal weniger, aber immer gibt es etwas, dass ich ganz genau und sicher wissen will, um weiterschreiben zu können. Das kann etwas so scheinbar Unwichtiges sein wie die Zusammensetzung von Lakritze, das kann aber auch etwas sein wie die korrekte Ansprache für eine englische Herzogin, die Auflösung einer Behörde in der Weimarer Republik oder wie lange es braucht, bis ein Mann ertrinkt. (Letzteres klingt jetzt irgendwie unschön, aber ich möchte höflichst daran erinnern, dass ich auch Kriminalromane schreibe und da kommt so etwas gelegentlich vor …)

    Meist reicht es, wenn ich vor Projektbeginn in die Zeit hineinlese und (gerade bei Emma) nachschaue, ob etwas Wichtiges geschehen ist, das sich in der Geschichte widerspiegeln muss. Dabei passiert es mir immer wieder (gerade bei Emma … :D ), dass etwas passiert ist, das perfekt zu meiner Idee passt. Als ich beispielsweise am Letzten Tanz schrieb, wo es um ein russisches Pärchen geht, fand zur gewählten Zeit in Moskau die Zehnjahresfeier zur Oktoberrevolution statt – zusammen mit vielen Lippenbekenntnissen, die die umliegenden Staaten in Sicherheit wiegen sollten. Ich war begeistert und freue mich noch immer jedes Mal, wenn sich solch wunderbare Zufälle ergeben. Da findet sich dann meist ein Detail, das mir bis dahin unbekannt war, aber mich zu einer weiteren Verwicklung oder einem neuen Charakter inspiriert. Herrlich ist das und wirklich eine meiner allergrößten Freuden im Autorinnenleben.

    Dann aber kann es auch so gehen wie bei Hedwig 1882 oder eben jetzt mit Eine schöne Kunst: Ich steige in eine Zeit ein, die mir entweder nur in groben Zügen bekannt ist oder mit der ich mich zuletzt vor Jahrzehnten befasst habe. Ehrlich gesagt wäre es durchaus möglich, einen Roman zu schreiben, ohne mich in jedes Detail zu vertiefen, aber für mich fühlt sich das nicht gut an. Wenn ich schreibe – und ich schreibe ja entdeckend mit nur wenig Vorausplanung -, dann will ich mich sicher fühlen und nicht voranstolpern, während ich mich bemühe, nur ja nichts Falsches zu sagen.

    Für Hedwig beispielsweise habe ich mich durch ein gutes Dutzend Bücher gelesen, die die Situation der Dienstmädchen um die Jahrhundertwende beleuchteten. Hedwigs Aufstieg habe ich begleitet, indem ich mich ebenso durch die Kalender für die vornehme Hausfrau, Modehefte und gesellschaftliche Ratgeber jener Jahre wühlte, um dann für den dritten Teil mein Wissen über Ägypten und seine Forscher aufzufrischen (von meinem siebten bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr kannte ich nru ein Ziel: Ägyptologin werden und von daher lasse ich dieses Thema ja sehr gerne in meine Romane aller Art einfließen).

    François Rousseau – Maskentreiben im Bonner Hoftheater

    Und jetzt begebe ich mich in das Bonn der Jahre 1789 bis 1796. Eine Zeit, die mich über Jahre ebenso faszinierte wie das Alte Ägypten, das Elisabethanische Zeitalter oder Anne Boleyns Lebensjahre. Was natürlich an der Französischen Revolution lag. (Um das mal eben zu erwähnen: Wenn ich zurückblicke, müssen meine Jugendjahre doch recht düster gewesen sein, denn nachdem Ägypten als Traum platzte, las ich alles über die Revolution und das Dritte Reich, immer schön im Wechsel, und ich erinnere mich an viele, viele durchgeweinte Nächte).

    Ja, und jetzt gehe ich dahin zurück. Mehr oder weniger, denn ich bleibe meinem bevorzugten Schauplatz Bonn treu. Ebenfalls mehr oder weniger. Und neige deshalb dazu, einer ganzen Horde weißer Kaninchen in ihren Bau zu folgen. Und mich darin, was auch sonst, zu verirren. Warum?

    Tja, das legt an der Thematik meiner kleinen Serie (von der ich noch nicht weiß, ob es zwei oder doch drei Teile werden). Da wäre meine fiktive Heldin Luise Dietz, die aus einer gut situierten Kaufmannsfamilie stammt und am Bönnischen Nationaltheater debütiert.
    Das erste Thema ist also ein Schauspielerinnenleben und da gibt es einiges zu lernen, aber gar nicht so sehr viel zu finden – eine sehr mühsame Recherche ist das und eine mäßig ergiebige. Was dafür gesorgt hat, dass ich tagelang sehr verbissen mit allen möglichen Stichwörtern gesucht habe und kurz davor war, Google einen bösen Brief zu schreiben, weil man dort einfach nicht verstehen wollte, welche Informationen ich benötige.
    Sehr ärgerlich. Sehr ärgerlich auch, dass, wann immer ich meinte, eine Arbeit über eine Schauspielerin gefunden zu haben, es dann doch nur um das ging, was sie spielte und wie der Autor dieser Stücke von Bedeutung für uns ist. Fast immer endeten solche Betrachtungen mit der lapidaren Aussage, dass die betreffende Dame verarmte und irgendwann starb. Wann und wo liegt meist im Dunkeln. Frauengeschichte endet immer wieder in Sackgassen.

    Eine junge Schauspielerin am Hofe von Kurfürst Max Franz – nun, von da auch ergeben sich gleich drei weitere Rechercheaufgaben:

    • Wie war Max Franz, wie seine Haushaltung und sein Charakter?
    • Wie war das Verhältnis zu seiner Schwester Marie Antoinette, der Königin von Frankreich, und was genau geschah wann in ihrem Reich und ab wann zeigten sich die Auswirkungen der Revolution in Bonn?
    • Wie spielt Ludwig van Beethoven in Luises Leben hinein?

    Ersteres ließ sich leicht herausfinden, zumal der Kurfürst bis heute in Bonn in gutem Ansehen steht, war er doch bescheiden, hilfsbereit und fleißig.
    Was aber das Verhältnis der beiden Geschwister angeht, so findet sich nicht vieles. Meist ist die Rede davon, wie er als noch sehr junge Mann inkognito nach Versailles kam und dort wenig freundlich vom Hochadel empfangen wurde. Man nannte ihn hässlich und blöde und seine Schwester ärgerte sich sowohl darüber wie auch über ihn, weil er überhaupt erst den Anlass gegeben hatte für diesen Spott und die damit verbundene Peinlichkeit. Doch da die Geschwister die jüngsten Kinder Maria Theresias waren, dürften sie einander wohl zugetan gewesen sein.

    Ja, und am berühmtesten Sohn Bonn komme ich natürlich nicht vorbei, denn er war seit seinem elften Jahr am Hofe angestellt und verkehrte im selben Freundeskreis, den ich auch meiner Luise zugedacht habe. Und weil sein Leben in Bonn relativ gut dokumentiert ist, habe ich durch ihn Einblick in diese Zeit. Und in dieses völlig fremde Bonn, das nur an wenigen Stellen aussah, wie es heute aussieht.

    Macht summa summarum sechs bis sieben Themen, in denen ich recherchiere. Hofhaltung, Theaterleben, Bonner Stadtgeschichte, die Geschichte der Französischen Revolution, die Jugendjahre Beethovens, die Familien von Breuning, von Mastiauxn und Koch, dazu Mode, Längenmaße, Währung, Romane, Musik, Politik … Es ist ein echtes Rundum-Programm und ich stellte heute Morgen fest, dass ich mich leicht darin verlieren können und mit dem Schreiben erst in Jahren beginnen würde.

    Was habe ich also getan? Ich habe mir eine grobe Chronik der Ereignisse erstellt und zu den ersten Monaten intensiv recherchiert. Und dann habe ich heute endlich mit dem Schreiben bekonnen. Schreiben werde ich, bis ich an einen solchen Ereignispunkt komme, dann wird wieder recherchiert und weiter geht es mit der Erzählung. Ich habe jetzt einen groben Überblick über die Bonner Gesellschaft und die geschichtlichen Ereignisse, dass ich weiß, wann ich wo nachzuschlagen habe. Das ist gut.

    Was mich ein wenig belastet: Nach gut zwölf Tagen des Recherchierens war ich wahrhaftig verzweifelt, weil eines zum anderen führte und alles über kreuz ging, mich hierhin führte und dorthin und ein Ende gar nicht in Sicht war. Wie ich das alles in einem oder zwei oder drei Romanen unterbringen sollte, war mir ein Rätsel.
    Bis mir klarwurde, was mir immer klarwird, wenn ich mich so vertiefe: Das muss alles gar nicht hinein, das dient nur dazu, mir die Zeit vor Augen zu führen. Bei der Nachforschung aber gerate ich so tief in diese Kaninchenlöcher, dass ich das vergesse. Ich musste mich daran erinnern, dass ich Luises Geschichte erzählen will und nicht etwa den tausendsten Roman über Beethoven oder Marie Antoinette oder auch den ersten über Maximilian Franz.
    Sie sind Nebenfiguren, wenn auch bedeutende, ohne deren Existenz Luises Leben anders verlaufen wäre. Und wie Nebenfiguren erscheinen sie auch in meinem Roman, immer wieder tauchen sie auf, gestatten uns einen kleinen Einblick in ihre Seele, entscheiden mit ihren Worten den Fortgang der Welt und ziehen sich wieder zurück, bis sie gebraucht werden.

  • Nicht was, sondern wie ich schreibe

    Nicht was, sondern wie ich schreibe

    Ich bin eine Pantserin. Oder schöner ausgedrückt: eine Gärtnerin. Also konkret: eine entdeckende Schreiberin. Was bedeutet, dass ich schreibe, als würde ich lesen – was passiert als nächstes, wie geht es weiter, was kommt nun?

    Wenn du jetzt einmal nach diesen Ausdrücken googlest, dann wirst du schnell herausfinden, dass diese Art des Schreibens gerne als völlig falsch angesehen wird. Als unprofessionell. Zeitaufwendig. Fehlerbehaftet. Unorganisiert. Ungeeignet auch für Krimis beispielsweise. Oder Serien und Reihen. Ganz, ganz verkehrt. Und man möchte meinen, dass das stimmt, denn liest man sich durch Schreibforen oder Autorinnenseiten, dann ist fast immer vom Plotten und Vorbereiten die Rede, um Logikfehler zu vermeiden oder sich die Arbeit zu ersparen, den ersten Entwurf kompett in die Tonne kloppen zu müssen. Entdeckend schreiben nur Anfänger und Hobbyschriftstellerinnen. Punkt. Weil – sonst würde das doch mal irgendwo stehen, dass das geht. Das Pantsen, Gärtnern, Drauflosschreiben.

    Und doch ja, ganz gelegentlich meldet sich mal jemand und sagt, also hey, hier ich, ich mache das und komme wunderbar klar. Weil wir alle unterschiedlich sind und denken und handeln und Unterschiedliches brauchen, um kreativ sein zu können.
    Je nach Forumskultur wird nun entweder erklärt, warum das gar nicht sein kann (das führt dann meist zu einem Rückzug des Gärtners oder der Gärtnerin und der kleinlauten Erklärung, dass er oder sie selbstverständlich sehr, sehr viel Arbeit reinstecken müsse, um den fabrizierten Mist aufzuräumen). Oder aber es melden sich andere und geben zu: ich auch. Und dann kann man lesen, dass vom ersten Entwurf kaum etwas geändert wird, dass Logikfehler eher selten sind und schnell bemerkt werden, weil die Charaktere sich natürlicher verhalten, weil sie ja den Plot vorantreiben und nicht der Plotter, der alles vorgegeben hat und deshalb seine Figuren in falsches Tun drängt (oh ja, man kann auch Vorurteile gegen das Planen hegen – da lässt sich so schön von der Geschichte sprechen, die am Reißbrett geschrieben wurde und steif und hölzern daher kommen muss). Wenn also Gärtner aufeinander treffen, dann fühlen sie sich gleich besser (als sonst, nicht als andere!), weil sie feststellen dürfen, andere arbeiten genauso und sind dabei glücklich.

    Wie gärtnere ich also? Habe ich wirklich keine Idee, wenn ich ein neues Projekt beginne?
    Die habe ich natürlich. Meist sieht sie so aus: Da ist jemand, der hat irgendwen getötet, weil er sich für irgendetwas gerächt hat, und Emma stolpert über die Leiche. Ja. Damit fange ich an. Monate, bevor ich schreibe. Ich notiere sie und wenn ich das nächste Mal daran bin, ein Cover zu gestalten, dann bekommt auch diese Idee ein Cover. Und dann einen Titel. Eine Jahreszeit. Und dann auf einmal fällt mir ein Name ein und ich fange an. Ich gebe diesem Namen während des Schreibens eine Geschichte, ein Aussehen, eine Vergangenheit, eine Wohnung, ich lasse mich fallen in die Zeit und in diesen fremden Charakter, den ich dann mit meinen mir vertrauten Heldinnen konfrontiere.
    Und während ich hier die Erde auflockere und dort ein Samenkorn fallen lasse, schaue ich zum Zaun oder zur alten Eiche und überlege, was dort gut aussähe und wie ich dort am besten hinkomme. Soll da vielleicht ein Teich hin? Zierrasen? Gestrüpp? Gibt es Streit mit dem Nachbarn? Lavendel? Oder lieber Fingerhut? Ich arbeite mich vor und manchmal habe ich zehn Ideen zugleich und notiere sie mir für die nächsten Kapitel, ein anderes Mal grübele ich und fluche.

    ABER genau das liebe ich und ich glaube auch, dass genau das – das manchmal nicht genau wissen, was ich jetzt anfangen soll – das ist, was meine Geschichten eben zu den Geschichten machen, die meine liebsten Leserinen mögen. Das ist nämlich nicht nur Kommissar Wertheim, der raus an die Luft muss, um wieder klardenken zu können (und eine Rosinenschnecke zu verputzen), sondern auch ich. Ich habe dieselben Hinweise auf den Mörder wie der Kommissar, ich fühle mich genauso genervt und verzweifelt wie Emma, wenn ich mir all diese schönen Spuren und Indizien anschaue und darüber fluche, wie die bitteschön zusammengehören sollen.
    Dann könnte ich es mir natürlich leicht machen, zurückgehen in der Geschichte und streichen, was sich partout nicht unterlassen bringen will in der Lösung. Aber dann stehe vor einem Täter oder einer Zeugin und bekomme zu hören, dass es aber nun einmal so war und da ja jede kommen und eine Änderung verlangen könnte. Also zerbreche ich mir den Kopf, bis ich die Lösung habe.

    Gehe ich also nie zurück und ändere?
    Natürlich tue ich das. Da merke ich plötzlich, dass der Passant von Seite zehn viel mehr mit der Sache zu tun hat, als ich dachte. Oder ich stelle fest, irgendwer ist jünger oder älter, netter oder böser, ärmer oder reicher als zunächst angenommen. Oder mir fällt auf, dass ich irgendwen gar nicht benötige. Da gibt es immer Details, die ich ändere. Und zwar wirklich immer nur Details, nie Dinge, die von besonderer Bedeutung sind. Wenn es immer so schön heißt: Kill your darlings, dann gehe ich unprofessionelles Stück hin und schenke ihnen Blumen und bitte sie, sich mehr einzumischen. Weil ich weiß, was mich glücklich macht, das macht auch die liebsten Leserinnen glücklich. Dafür nehme ich in Kauf, dass es andere gibt, die das gar nicht mögen. (Damit umzugehen, habe ich erst lernen müssen und lerne es noch …)

    Ja, und dann kommt so gegen Zweidrittel des geschriebenen Manuskripts der Zeitpunkt, an dem ich aufhöre, mir drei oder vier Tage nehme und alles lese, was ich bisher habe. Und das ist dann auch der Moment, an dem ich mich hinsetze und gezielt organisiere, wer denn nun wirklich der Täter ist und wer mit wem was getan hat und wieso und überhaupt. Alle Szenen übertrage ich dann in ein Plottingprogramm und notiere mir auch Dinge, die ich ganz neu von meinem Stammpersonal gelernt habe. Und Ideen für die nächsten Bände. Und wenn ich dann alles so wunderbar organisiert und notiert und sortiert habe, wie Emma es tun würde, dann schreibe ich weiter und hangele mich lose an der geschaffenen Leitlinie entlang. Dann kann noch immer etwas Unvorhergesehenes geschehen, aber in der Regel weiß ich nun, wohin es am Ende gehen solle. Was mich enorm zum schnellen Weiterschreiben motiviert.

    So ist das bei mir. Wollte ich immer mal gesagt haben. Weil ich mir sonst wie eine Hochstaplerin vorkomme …

  • Risiko!

    Risiko!

    Über die üblichen Themen populärer Bücher und das gewünschte gute Ende in Romanen habe ich neulich schon gesprochen. Nun fällt mir noch mehr zu diesem Thema ein, denn ich verzichte oft und ganz ohne böse Absicht darauf, mittlerweile liebgewordenen Erwartungen in der Bücherwelt zu bedienen. Dinge wie:

    • Wenn Chef und Angestellte immerzu streiten, geht man als gewiefte Leserin davon aus, dass beide am Ende zusammengekommen.
    • Wenn die Heldin ihren Gemahl in der Armen ein spärlich bekleideteten Dame vorfindet, liegt das Gewitter schon in der Luf.
    • Wenn die Heldin sich auf den ersten Blick verliebt und es wirklich schafft, ihren Traumprinzen zu heiraten, geht man von ewigem Glück aus.
    • Wenn um eine Krone gekämpft wird und eine der Bewerberinnen die stärkste aller Vampiras ist, darf man wohl annehmen, sie wird die Königin.

    Es gar nicht einmal so, dass ich unbedingt etwas Besonderes schreiben will. Nein, ich lasse meine Figuren handeln, wie sie es für richtig halten. Weil ich charaktergeführte Romane schreiben, nicht plotgetriebene. Was, wie ich vermute, bei manchen Leserinnen zum Klick auf den ‚So-ein-Schund‘ = Ein-Sterne-Button geführt haben dürfte. Und bei anderen dazu, mit mir eMails zu tauschen oder mich sonstwie zu kontaktieren oder alles zu lesen, was ich herausbringe (dafür ein riesiges Danke – ihr ermöglicht mir, die Ein-Sterne-Vergaben nicht mehr zu beachten).

    So weit, so gut. Aber was wäre das (Autorinnen-)Leben ohne ein klein wenig Aufregung? Ein bisschen Gefahr und Risiko?
    Tja, no risk, no fun – das kann ich normalerweise nicht nachvollziehen; ich bin eine eher ängstliche Person, die ganz gerne auf ihrem vermeintlich sicheren Sofa hockt und ihre Abenteuer beim Schreiben erlebt. Aber da bin ich sehr, sehr wagemutig. Weil ich nicht anders kann. Ich stürze mich also nicht nur kopfüber in meine Geschichten und lasse meine Figuren die Handlung bestimmen (was mir schon mehr als eine schlecht verbrachte oder gar durchwachte Nacht beschert hat!), nein, ich breche auch noch Regeln.
    Ich!
    Regeln, die in Stein gemeißelt sind. Regeln, wie sie vor allem für Kriminalromane gelten:

    • Der Mörder darf nicht erst im letzten Drittel in Erscheinung treten.
    • Es dürfen keine offenen Fragen bleiben.
    • Jede Szene muss zum Plot beitragen.
    • Das Böse muss bestraft werden.

    Tja. Hmm. Was soll ich sagen? Ich gebe der ‚So-ein-Schund‘ = Ein-Sterne-Button-klick-Fraktion eben noch einige gute Gründe mehr, auf den ‚So-ein-Schund‘ = Ein-Sterne-Button zu drücken. Ich sammele mitunter so viele kleine Sternchen, dass ich mir als ausgesprochen wagemutig und regelverletztend vorkommen darf. Verwegen geradezu. Dabei bin ich einfach nur eine Autorin, die sich viel zu gerne von den Möglichkeiten verführen lässt, eine Geschichte von meinen Figuren und meinen eigenen Vorlieben zu bestimmen. Vielleicht ist das die einzige Regel, die für mich wirklich gilt: Schreibe, was du selber lesen magst. Und manchmal ist mir danach, genau das zu tun, was man nicht tun soll. Weil es für diese besonderen Figuren, diese bestimmte Geschichte passt.

    • Weil nun einmal ein überragender Mr X, der im Hintergrund die Fäden zieht, kein überragender Mr X wäre und schon gar nicht im Hintergrund agierte, wenn er mir alle zwei oder drei Seiten über die Zeilen hüpfte.
    • Weil es so viele offene Fragen jeden Tag für uns gibt, gibt es sie auch für meine Heldin.
    • Weil ein Auslassen jeder Alltagsanekdote, jeder menschlichen Überlegung oder jeder Sorge abseits des Plots für mich eine Geschichte ergibt, die so ermüdend ist wie eine Autofahrt mit Tachomat.
    • Weil das Böse bei mir sicherlich nicht glücklich davonkommt, das Glück der Unschuldigen aber von anderen Dingen als der Bestrafung abhängt und ich dafür mehr Zeit aufbringen mag.

    Nun, so sieht das bei mir auf dem Sofa aus. Ich hocke hier megariskant neben dem Kuschelhund auf der Heizdecke (solltest du das im Sommer lesen, dann zerfließe ich vermutlich bei offenen Fenstern und der Hund liegt auf dem kühlen Boden) und trinke Kaffee mit Caramelsirup. Gewagt und mutig, oder?
    Ok. Eher nicht. Weil ich nämlich für die jenigen Leserinnen und Leser schreibe, die genau so unterhalten werden wollen, wie sie es von mir bekommen. Das ist nicht riskant, das ist einfach nur herrlich.

  • Tropes & Happy Endings

    Tropes & Happy Endings

    Oder: Was erwartet eine Leserin?

    Oder: Was kann ich ihr bieten? Oder: Was erwartet meine Leserin?
    Fragen über Fragen, die mich schon lange bewegen und auf die ich keine gesicherte Antwort habe. Nicht so ganz zumindest. (Warnung: Das wird lang!)

    Falls es nicht irgendeine Person da draußen gibt, die mich – aus welchem Grund auch immer – abgrundtief hasst und deshalb in schöner Regelmäßigkeit zwei, drei Wochen nach dem Erscheinen eines neuen Buches die Ein-Sterne-Bewertung hinterlässt, dann darf ich wohl sagen: Ich bzw. das, was ich schreibe, gefällt nicht allen Leserinnen und Lesern. Ich errege mit meinen Geschichten sogar ausreichend viel Abscheu, dass diese Ein-Sterne-Bewertungen bei so ziemlich all meinen Roman zu finden sind. Über den Punkt, an dem ich tagelang weinte, nichts mehr schrieb und kurz davor war, alles zu vernichten, was ich jemals geschrieben hatte, bin ich zum Glück hinaus. Gut geht es mir dann noch immer nicht, andererseits passiert es doch immer wieder, dass nach der Vergabe der Ohrfeige genau dieses Buch öfter gekauft wird (sollte es also doch diese eine Person geben, die mich ärgern will: Danke, danke, danke :))

    Aber ich verlaufe mich gerade wieder, also zurück zum Thema: Was erwartet die Leserin, was erwartet sie von mir und was bekommt sie?

    Um das zu erfahren, lese ich die negativen Rezensionen und erfahre: Fräulein Schumacher ist entweder zu naiv, zu unschuldig und zu wenig unternehmungslustig, oder aber sie ist zu naseweis, zu übergriffig und hyperaktiv. In jedem Fall aber findet viel zu viel Alltagsleben statt, der Krimiteil ist nicht blutig genug und zu viele Seiten haben die Emma-Krimis sowieso.
    Heißt im Umkehrschluss: Ich schreibe für diejenigen, die neben dem eigentlichen Fall eine Geschichte wollen, die Platz bietet für das Leben der Hauptperson, die zeitliche und lokale Einordnung und Charaktere, die nicht nur Stichwortgeber sind. Was nicht bedeutet, dass ich jedem Klischee bei der Figurenzeichnung aus dem Weg gehe – mit solchen typischen Bildern, die wir alle kennen, lassen sich wunderbar kleine, amüsanten Zwischenszenen malen, die vielleicht nichts zur Lösung des Falls beitragen, dafür aber Entspannung bieten, bevor etwas geschieht, das von Bedeutung ist. Wer auf rasende schnelle Thriller steht, auf andauernde Bedrohung und sogar Blut, das in Strömen über die Seiten fließt, wird vermutlich tödlich gelangweilt Fräulein Schumacher in die Ecke pfeffern.
    Das sagt mir was genau: Schaue ich mir die Bestsellerlisten an, dann lerne ich, ich schreibe an den Erwartungen vieler, vieler Leserinnen vorbei. Was erklärt, warum ich schlechte Bewertungen erhalte – es gelingt mir nicht immer, die nicht passenden Leserinnen mit meinen Covern und Klappentexten abzuschrecken :D
    Weil ich aber doch viel Wert darauf lege, die realen Ereignisse der Zeit einzuflechten, verschrecke ich auch die eine oder andere Cosy Crime Leserin, die die Zwanzigerjahrekrimis des englischen Sprachraums gewohnt ist. Wo die englische Tochter eines Lords oder die amerikanische Dollarprinzessin mit Tüdelü und Tralala im Charlestonschritt durch die Goldenen Jahre tanzt, haben Emma und ihre Freunde mit dem Aufkommen der Nazis, Kriegstraumata der Verlierer und vielen anderen Dingen zu tun, die einen durchgängig heiteren Ton verhindern. Wieder enttäusche ich Erwartungen.

    Ähnliches gilt aus anderen Gründen für die beiden anderen Krimireihen, die ich aktuell schreibe (oh, und ich würde so gerne auch einen weiteren Fall für Elizabeth Teague schreiben, komme nur nicht dazu, deshalb beziehe ich sie hier nicht mit ein): Monsieur Sandberg verdient sich im Jahr 1919 seinen Lebensunterhalt mit kriminellen Aufträgen, wobei auch Mord dazu gehören kann. Er hat ganz eigene, durchaus hohe moralische Grundsätze, die er erfüllt sehen muss, bevor er einen Vertrag unterschreibt.
    Das könnte nun theoretisch eine sehr düstere Reihe sein, aber da Sandberg einen Auftritt bei Fräulein Schumacher hatte, fühlt auch er sich dem gelegentlichen Humor und einer dialoglastigen Geschichte verpflichtet. Blutig geht es nicht zu, aber wir stehen eben doch auf der anderen Seite des Gesetzes. Wohin gehört diese Serie nun? Cosy nicht, er ist ja Profi, nicht Laie. Am ehesten ist es eine internationale Agentengeschichte, denn Sandberg kommt ordentlich rum in seinen Missionen und hat sich selbst die Lizenz zum Töten verliehen. Was er so charmant tut, dass ein Hauch von Cosy durch die Zeilen weht. Doch ein Roman, der sich schlecht einordnen lässt, ist immer an der Erwartung der meisten Leserinnen vorbei geschrieben. Tja …
    Bei Mariella wollte ich dann doch einmal genau das schreiben, was man sich von einem Cosy Crime der Zwanziger erwartet: Tralala und Tüdelü in eleganten Abendroben. Ermittelt wird mit Champagner in der einen und einer zierlichen Ladysmith in der anderen Hand. Dumm nur, dass ich nicht widerstehen konnte, die Serie auf eine fiktive Insel zu verlegen, in der die Zwanziger ganz anders sind: bunt, divers, frauenfreundlich. Mariellas beste Freundinnen sind ein Pärchen, was niemand der Rede wert findet (bislang spielen sie nur winzige Nebenrollen, aber das wird in einem weiteren Fall anders sein). So wenig, wie die Hautfarben der Caspilliani, die von leuchtend weiß bis tief schwarz jede Nuance haben dürfen.
    Logisch: Das gefällt nun auch nicht allen, wieder sause ich am Ziel vorbei. Naps aber auch! (Das ist DER Fluch für absolut alles auf der Insel.) Wer aber Miss Fishers mysteriöse Mordfälle und Death in Paradise mag, hat hier eine Mischung aus beidem – was keine Absicht war!

    Gut. Wie sieht es denn dann im historischen Feld aus? Hedwig könnte doch genau das sein, was man sich heute unter einer Triloge über eine starke Frau um 1900 vorstellt. Oder?
    Ganz ehrlich, das hatte ich vor. Aber dann habe ich mich viel zu intensiv mit dem Leben der Dienstmädchen befasst, habe Unmengen an biografischen Berichten und Erinnerungen gelesen und alle möglichen Doktorarbeiten vor allem der Achtziger durchforstet. Und immer wieder fiel auf, wie unglaublich schicksalsergeben diese Frauen waren oder wurden. Wie wenig Bedeutung sie der Liebe beigemessen haben, wie sie selten einmal das erhalten haben, was sie sich erträumten – vor allem dann, wenn sie es erhielten. Aber so war das Leben nun einmal und wollte man mehr, so bedeutete auch das harte Arbeit.
    Und so wurde aus meiner Hedwig, die munter, niedlich und lustig sein sollte, eine junge, hart schuftende, aber gütige Person, die nur langsam lernt, was sie aus sich machen kann. Ich liebe sie sehr und erkenne in ihr ziemlich vieles, was ich auch in meiner liebsten Großtante Tinni gesehen habe – der ich als Emmas Tante Tinni das Leben gegeben habe, das sie sich gewünscht hat.
    Schlimmer noch: Ich habe Hedwig keinen der Träume so erfüllt, wie man es sich in einer Frauensaga wünscht. Ich lasse sie schuften und leiden und hoffen und dennoch fällt es ihr nicht ein, sich als unglücklich zu bezeichnen. Ist nun alles, was sie erlebt, ungewöhnlich und nie dagewesen? Natürlich nicht. Aber es läuft wieder neben den Erwartungen her. Hedwig ist keine der Heldinnen, die sich immerzu von allen vernachlässigt und schlecht behandelt glauben, obwohl sie täglich spürt, wie abhängig so von ihrer Umgebung ist. Sie beginnt ihren Lebensweg nicht aus einer priviligierten Position heraus, sie hält sich nicht für wertvoll oder besonders, sie hat keine Zeit, über ihr Äußeres nachzudenken. Auch das gefällt nicht allen.

    Ja, und meine Jane Austen-Reihe und mein geliebtes Institut für Fantastik – auch hier biege ich weit vorm Ziel schon ab und renne kreuz und quer. Wer Regency Romance wie Bridgerton sucht, kann In Love with Austen nur hassen, und wer bei Fantasy Schwertkampf und Schlachten und Zauberschulen sucht (obwohl ich etwas Ähnliches habe, wo beispielsweise Olivero ausgebildet wurde), ist bei mir natürlich auch wieder falsch. Es ist eine Schande.

    Oder?

    Oder auch nicht. Denn zum Einen mag und kann ich mich nicht so verbiegen, dass ich nach dem Markt schreibe, so gerne ich das manchmal auch möchte. Dafür bin ich zu doof oder lasse ich mich zu leicht von den spontanen Einfällen meiner Figuren zu einer neuen Handlung verführen. Und genauso liebe ich es, nur deshalb kann ich täglich Stunde über Stunde schreiben und das Tag für Tag.
    Und zum Anderen gibt es eben die Leserinnen, wenn sie auch in Minderzahl sind, die genau diese Geschichten lieben und sich auf das nächste Buch freuen, egal, welches Genre es ist. Weil sie wie ich auch in den Hauptfiguren Freundinnen sehen, mit denen sie gerne Zeit verbringen, von denen sie sich ablenken und entführen lassen. Weil sie sich freuen, wenn eine Erwartung (oder manches Mal eine Befüchtung) nicht oder zumindest anders erfüllt wird. Weil sie gerne lesen, wie Emma langsam doch noch das Kochen lernt und nicht nur dem Mörder nachrennt. Weil sie gerne auf einer Insel leben würden, die wie Saint Caspilian ist. Weil sie Melisande warme Magie so sehr schätzen wie Swanhilds kühlen biss. Weil es eben Leserinnen gibt, die mich anschreiben und mir ganz genau sagen, warum sie mich lesen. Und das ist, weshalb ich weiterhin ganz willig und froh knapp vorbei schreibe an allem, was erfolgreich machen könnte.

  • Plotten oder Pantsen?

    Plotten oder Pantsen?

    Treibt man sich in Schriftstellerforen welcher Sprache auch immer herum, dann dauert es nicht lang, bis man in eine Diskussion gerät, in der es um die einzig wahre und richtige Methode geht, einen Roman zu schreiben. Und da herrscht erstaunliche Einigkeit, denn selbst die meisten Pantser und Pantserinnen werden ihr Vorgehen damit entschuldigen, dass es ihnen einfach am Talent zum Plotten mangele, so sehr sie es auch möchten. Weil ja nur durch das Plotten ein Werk wie beispielsweise ein Krimi entstehen könne – ohne Logiklöcher und mit einem spannenden – ha! – Plot.

    Treibst du dich in solchen Foren nicht herum, weil du eben keine Schriftstellerin, sondern eine Leserin bist (wahlweise bist du kein Schriftsteller, aber dafür ein Leser), dann wirst du dir vielleicht nicht einmal ganz sicher sein, was Plotten und Pantsen eigentlich ist. Rein lautmalerisch klingt beides nicht sonderlich schön oder aufregend.

    Um das also einmal kurz klarzustellen:

    Wer plottet oder als ‚Architekt‘ arbeitet, beginnt mit dem Schreiben des Romans erst, wenn das Grundgerüst steht, das mal mehr, mal weniger detailreich ist. Und da gibt es durchaus Autorinnen (jeden Geschlechts), die sehr, sehr, sehr genau vorgehen und wahrhaftig jeden einzelnen Charakter erfinden, Szene für Szene durchgehen, an festgelegten Punkten eine Wendung einbauen und festlegen, wann welche Leiche wo gefunden werden muss, um zum Finale zu gelangen. Da werden dann Karten (analog oder digital) hin- und hergeschoben, Erzählstränge kunstvoll verwoben und die Wortanzahl jedes Kapitels bestimmt. Dazu gehört natürlich auch die Recherche. Es wird also jedes Detail der Geschichte bestimmt, sortiert und als Szenen- und Kapitelstruktur ins Manuskript gebracht. Wer so schreibt, verwendet vielleicht spezielle Software wie Plottr oder Papyrus. Danach wird dann in Sätze gefasst, was als Idee bereits feststeht.

    Wer pantst oder als ‚Gärtner‘ unterwegs ist, tut das nicht. Man geht mit einer Idee, die mehr oder weniger ausgefeilt ist, an die Sache heran, setzt sich an die leere Seite und fängt an, die Geschichte zu schreiben. Entdeckendes Schreiben wird das auch genannt und ist sozusagen ein Lesen während der Entstehung. Die Gärtnerin lässt sich darauf ein, nicht zu wissen, wie es zwei Kapitel später aussehen wird. Mehr noch verlässt sie sich darauf, es bis zum Ende zu schaffen. Jede Idee, die während des Schreibens kommt, wird freudig begrüßt. Vielleicht testet man sie für einige Zeilen und entscheidet dann, dass sie sich besser für eine andere Geschichte eignet und speichert sie dort ab. Oder man verändert sie ein wenig. Oder man nimmt sie mit und lässt sich überraschen, was daraus wird. So entstehen Geschichten, die oftmals mehr von den Figuren abhängen als von dem Geschehen an sich. Die Recherche findet nicht nur vor dem Schreiben statt, sondern ebenso sehr on the go.

    Nun gibt es einige ‚Regeln‘, die gerne als feststehend betrachtet werden. Dinge wie:

    • Der erste Entwurf ist immer für die Tonne.
    • Krimis und Fantasy müssen intensiv geplant werden.
    • Pantser müssen sehr, sehr viel korrigieren, verbessern und anpassen.
    • Plotter sind professionellere Autoren.
    • Man muss viele Schreibratgeber gelesen haben.

    Da gibt es noch einige mehr, die immer, immer, immer genannt werden, wenn solche Diskussionen ausbrechen. Und fast immer geben Pantser und Pantserinnen klein bei, bestätigen, dass sie viel ändern müssten. Dass sie keinen Krimi schreiben könnten. Dass es ein Make ist, nicht plotten zu können. Dass es ihnen wohl auch an Ausdauer mangele, wenn sie sagen, es würde sie das Aufschreiben einer Geschichte langweilen, wenn sie sie schon wochenlang geplottet hätten.
    Nur: Sobald man sich einer anderen Gärtnerin unter vier Augen als Kollegin zu erkennen gibt, dann klingt es doch anders. Dem erleichterten Aufatmen folgt die freudig-schwesterliche Umarmung und endlich einmal frei und glücklich erzählt man sich, wie wunderbar es jedes Mal sei, wenn man eine neue Geschichte beginnt und nur ahnt, wohin es gehen soll.

    Woher ich das weiß? Na, das wirst du dir schon denken können: Ich bin Gärtnerin durch und durch. Ich verlasse mich – wenn auch jedes Mal wieder bebend und nervös – darauf, dass ich mich auch aus der schwierigsten Lage befreien kann, wenn ich nur meiner Fantasie und meinen Figuren vertraue. Gerade Emma, James und Wertheim, Siegfried, Gigi und Sybil kann ich freien Lauf lassen; es ist ja immer wie ein nach Hause kommen, wenn ich eine Fräulein Schumacher-Geschichte beginne. Ich kenne sie, sie kennen mich und dann geht es los.

    Was habe ich zu Beginn? Eben diese eine grobe Idee. Im aktuellen Fall: Emma reist nach Norderney, dort geschieht ein Mord. Das war’s. Mehr habe ich nicht. Hatte ich nicht. Meist fällt mir unter der Dusche der erste Satz ein, in der Regel wirklich erst an dem Tag, an dem die Arbeit am neuen Manuskript beginnen soll.
    Dann öffne ich mein Programm und schreibe diesen ersten Satz. Und auf einmal weiß ich alles, was zu dieser neuen Begebenheit geführt hat: Wie kommt Emma an diesen Ort? Wann wird sie dort sein? Was hätte dagegen gesprochen und wie kann ich das Hindernis entfernen? Wer ist involviert? Wie geht es Emma, wie geht es ihren Lieben?

    Ja, und dann bin ich schon völlig in Emmas Welt. Meist schaue ich auch dann erst nach, was denn so passiert in Deutschland und in der Welt in diesen Tagen, lasse Emma darauf reagieren, wenn sie denn die Möglichkeit gehabt hätte, davon zu erfahren. Dabei erlebe ich immer wieder ein absolutes Glücksgefühl, wenn ich feststelle, dass wahrhaftig etwas, was ich mir so und so vorgestellt habe, auch wirklich geschehen ist. Oder dass genau jetzt irgendwo etwas stattfand, was Bezug zu meiner Geschichte haben könnte. Manchmal gerate ich beim On-the-go-Recherchieren in Kaninchenlöcher und stoße auf eine historische Figur, eine Aussage, eine Beschreibung oder einen Ort, der mich inspiriert. Wird alles gnadenlos eingebaut.

    Und so geht es weiter. Ich lasse, um beim momentanen Manuskript als Beispiel zu bleiben, Emma empfinden, was ich selbst bei meiner ersten Überfahrt nach Norderney empfunden habe. Ich mische Erinnerungen an Personen ein, die ich kennengelernt habe, ich lasse James Dinge sagen, die andere Männer mir sagten – das Dumme wie das Reizende. Und lasse Emma reagieren, wie sie es will. So ähnlich sind wir uns nun nicht, als dass ich mich da einmischen dürfte. Ich habe einen Heidenspaß daran, den Wortgefechten der Beresfords zu lauschen. Oder überhaupt allen Unterhaltungen meiner Paare – die sind einfach besser als ich darin, sich zu necken und zu loben. Liegt vielleicht auch daran, dass meine männlichen Helden zwar alle möglichen Schwächen haben, fragiler Männlichkeitswahn aber nur bei denen zu finden ist, die eben nicht meine Helden sind. Im wahren Leben sucht frau sich halt nicht immer aus, mit wem sie spricht …

    Was nun den Krimiteil angeht: Ich lasse mich mit Absicht vor Wände laufen. Alles, was mir an Spuren und Ereignissen einfällt, wird in die Geschichte gepackt, wenn es sich in der Situation des Schreibens gut und spannend anfühlt. Und es Emma oder Wertheim vor ein Rätsel stellt. Wenn Siegfried dann noch die Brauen zusammenzieht und an Verschwörungen denken lässt, dann bin ich glücklich.
    Bis ich nach gut der Hälfte an den Punkt komme, an dem ich Sinn aus den Begebenheiten machen muss. Mal stelle ich fest, dass mein Mörder gar nicht der Täter ist, dass ich mich in ihm geirrt habe. Dann muss ich ermitteln. Wie Emma und Wertheim muss ich nach Spuren suchen und mir die Nächte um die Ohren schlagen (wirklich und wahrhaftig). Dann fange ich an, Organigramme zu entwerfen, die Beziehungen untereinander aufzumalen, Chronologien und Listen zu schreiben, Zeugen zu befragen. Manchmal nutze ich meine überlegene Position, um in der Geschichte zurückzugehen und etwas zu ändern; eine Haarfarbe, ein gesprochenes Wort, eine Uhrzeit, einen Namen. Das sind immer nur Kleinigkeiten. Manchmal füge ich etwas ein, um eine Spur zu legen, manchmal verschiebe ich eine Szene. Immer lese ich in dieser Phase alles durch, was ich bisher geschafft habe, merke an, auf welches Detail ich beim Weiterschreiben achten sollte, was mir weiterhelfen kann oder was mich unnötig verwirrt hat.
    Danach dann geht es weiter, nun mit einer deutlichen Vortstellung davon, wer es war und wie es abgelaufen ist – ein Miniplot also, ein Gewächshaus in meinem Garten sozusagen. Wie meine Heldin das herausbekommt: Das ist noch immer ungewiss, da verlasse ich mich weiterhin auf meine Intuiotion und meine Figuren.

    Ich gestehe also: Ich bin Pantserin, Entdeckerin und Gärtnerin. Anders will ich es nicht, das ist, was mein Schreiben ausmacht, was mich begeistert und was für mich das einzig Wahre und Richtige ist. Ich schreibe meine Krimis nicht als die Kriminelle, die das Verbrechen plant, sondern als Ermittlerin, die es aufklären muss. Und ich sehe nicht ein, weshalb das nicht funktionieren sollte. Was manche an meinen Romanen nicht mögen, dürfte wohl mehr der Genremix sein und das zu häufige Enttäuschen gängiger Vorstellungen von einem echtem Happy End oder einer wirklichen Heldin oder was auch immer sein. Auch meine der Zeit angepassten Sprache, der Verzicht auf kurze Sätze oder ähnliches spielt eine Rolle. Ob man nun aber plottet oder pantst, dürfte keinen Unterschied machen.

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