Hoppla, da ist ein Jahr vorüber. Zeitsprünge im Roman


Ach ja, das ist so eine Sache, nicht wahr? Vielleicht bilde ich es mir ein, aber das Thema taucht immer wieder in meinen diversen Feeds und Timelines und Chroniken auf und auch unter Kolleginnen wird es gelegentlich angeschnitten. Wobei ich sagen muss, dass ich mit meinen schreibenden Freundinnen eher über anderes spreche (Wie zum Henker kann es mir gelingen, gleichzeitig zu schreiben und zu leben? Ist auch nicht ganz unwichtig …).

Also. Zeitsprünge. Nicht diejenigen, die meine Odila O’Malley unternimmt, wenn sie zurückreist in ein anderes Jahrhundert. Sondern die, die in einer Geschichte vorkommen können. Da bist du eben noch mit deiner Heldin im Jahr X unterwegs und dann blätterst du um und zack, ist es nicht X, nicht Y, sondern schon Z. Vielleicht warst du auch in A unterwegs und landest nun unversehens in H?

Hä? Wieso? Weshalb? Warum? Was war denn bitte in der Zwischenzeit? Was ist passiert? Fehlen etwa Seiten? (Und ja, ich habe mich mal sehr, sehr über einen arg unverständlichen Sprung gewundert, bis ich gemerkt habe, dass meiner Ausgabe wahrhaftig siebzig Seiten fehlten.) So ein Zeitensprung kann verwirren und er kann offenbar auch sehr verärgern. Wieso also tut die Autorin das? Will sie schneller fertig werden? Wie ätzend!

Wann gibt es bei mir solche Auslassungen in der Lebensgeschichte meiner Heldin?

Bei meinem Fräulein Schumacher liegen solche Lücken in der Regel zwischen zwei Bänden – weil ich das arme Ding nicht ohne Unterlass in Mordfälle stürzen will. Das verstehen alle, da wundert sich niemand, das ist üblich, auch wenn es manchmal sehr schön ist, geht es im nächsten Roman gleich dort weiter, wo man aufgehört hat.

Wie ist es aber im Roman selbst?

Beim Krimi überspringe ich damit schon einmal Phasen, in denen die Ermittlung nicht vorangeht. Nicht vorangehen kann, weil man vor hundert Jahren eben nicht das Ergebnis einer DNA-Analyse aufs Handy bekommen hat. Weil sich Untersuchungen hinziehen und Überlegungen im Kreise drehen. Weil ich das nicht durch einen unglaubwürdigen Zufall beschleunigen will. Dafür reicht ein Absatz:

Die Stimmung sank täglich noch weiter herab. Immer wieder brachten sie dieselben Ideen vor, immer wieder seufzten und stöhnten sie und Kommissar Wertheim verputzte eine Rosinenschnecke nach der anderen in der Hoffnung, sie mögen ihm den einen zündenden Einfall schenken. Doch nichts tat sich, nichts ergab sich, niemand trat ins Kommissariat und machte eine nützliche Aussage. Es sah so aus, als würden sie den Täter niemals ausfindig machen.
Dann aber, am letzten Montag im August, sprang die Tür auf und eine junge Frau stürmte herein …

Da ist er also, der Zack bumm Zeitensprung. Sechs Zeilen und eine Woche, ein Monat sind um. Was aber nicht das ist, was viele stört. Man weiß ja, wie langweilig es wäre, zählte ich nun auf, wie sie immerzu das Gleiche sagen, machen und denken. Damit kann man viele Seite füllen und die Leserin in den Schlaf treiben. Will man ja nicht, wenn man es auch nicht immer vermeiden kann (von wegen: Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die keiner kann.)

Aber dann gibt es auch die echten, riesigen Zeitsprünge, in denen Monate und Jahre übersprungen werden. Manchmal sogar, ohne eine Zusammenfassung zu geben (was ich gar nicht mag). Was soll das?

Der Grund ist – bei mir – derselbe: Es passiert in dieser Zeit nichts, was interessant zu lesen wäre. Natürlich dürfte meine Heldin auch in dieser Spanne Schönes und Schreckliches erlebt haben, aber ist es aufregend genug, um es zu berichten? In aller Ausführlichkeit?

Ich habe das in meiner Hedwig Trilogie einige Male gemacht: Jahre übersprungen. Nicht mit einem einzigen Anlauf, ich habe nichts ausgelassen. Aber sie war im ersten Band ein sehr junges und sehr bescheidenes Dienstmädchen, das tagein tagaus zwanzig Stunden lang dieselben Aufgaben hatte. Wieder und wieder und wieder. Dinge, die ich schon geschildert hatte. Was also habe ich getan? Ich habe klargemacht, dass Hedwig kaum ein echtes Leben hatte in dieser Zeit und dass sie auch nicht die Kraft oder überhaupt die Idee hatte, daran etwas zu ändern. Weil es so den meisten Dienstmädchen ging. Ehe man sich versah, war man alt und erschöpft und abgearbeitet und das war es dann.

Dann kam ihre Schulzeit, die ich mit einzelnen Szenen dargestellt habe. Auch hier habe ich Sprünge unternommen, bin schnell hindurch gerannt, weil auch diese Stunden, Tagen und Wochen in einer Gleichmäßigkeit vergangen, die meiner Hedwig zwar guttaten, als akkurate Aufzählung aber sehr langweilig gewesen wären. Und so sehr ich Alltägliches liebe, meine Heldinnen laut denken lasse und gerne mit Ruhe erzähle – jede Szene braucht doch ihre Berechtigung und was weder für den Fortgang der Geschichte noch zur Entwicklung der Heldin oder zum Zeitkolorit und der Atmosphäre beiträgt, kommt nicht in den Roman hinein.

Und dann ergibt es sich manchmal – und vor diesem Problem stehe ich aktuell mit Luise & Philippe -, dass es innerhalb einer gewählten Epoche Jahre gibt, in denen einfach nicht viel geschieht. In der Französischen Revolution ist das die Zeit von Anfang 1790 bis Mitte 1792, wenn sich plötzlich alles zu überschlagen scheint. Selbst in sämtlichen Biografien, die ich über diese Zeit besitze, werden diese Monate schnell abgehandelt und mit eher banalen politischen Entscheidungen gefüllt.

Da stehe ich also nun auch und habe beim Schreiben bemerkt, wie viel Platz ich für 1789 brauche – was so gar nicht geplant war – und wie dringend ich ins Jahr 1792, eher sogar noch weiter, muss, bevor das Leben auch in Bonn in Unruhe gerät. Ich warne hiermit offiziell vor: Nach dem Abenteuer, dass meine Berettons im Januar überstehen müssen, werde ich die nächsten Jahre zusammenfassen und dort wieder einsteigen, wenn Kurköln erste Auflösungserscheinungen zeigt.

Und ich warne gleich noch weiter vor für die wenigen, die Luise & Philippe bis jetzt überhaupt schon begleitet haben: Band drei werde ich noch lange nicht schreiben – das wird ein Zeitsprung der anderen Art. Mich hat dann eben auch einmal der Fluch der Serie erwischt. Die Motivation, an einer sehr geliebten Geschichte zu schreiben, die niemand lesen mag, bewegt sich gegen Null. Was schade ist. Aber mich schneller zurück zu Emma bringt und zu der Überlegung, welche meiner bereits angedachten Heldinnen mich davon überzeugen können wird, ihr eine Serie zu widmen …