Anne Boleyn


Nach dem Beitrag über Wallis Simpson überlegte ich, ob ich daraus nicht eine Serie machen könne und als erste Nachfolgerin fiel mir Anne Boleyn ein. Auf den ersten Blick mögen Wallis und Anne nicht viel gemein haben: die eine starb in dem Lebensalter, in dem die andere erst in der Öffentlichkeit auftauchte; eine wurde Königin, die andere nicht und vier trennende Jahrhunderte liegen ebenfalls zwischen ihnen.

Aber die Gemeinsamkeiten sind stärker: beide wurden von einem König umworben und konnten sich dem nicht entziehen. Beide werden bis heute mit ganz ähnlichen Kommentaren und Ausdrücken bedacht. Und beide waren stilvoll, elegant, eloquent, scharfzüngig, lebhaft und respektlos. Diese grauenvolle Mischung weiblicher Eigenschaften lässt nur einen Ausruf zu: “Verbrennt die Hexe!”

Anne wurde wahrscheinlich 1501 in eine – von mütterlicher Seite her-  hochadelige Familie geboren; 1513 wurde sie gemeinsam mit ihrer Schwester zur weiteren Ausbildung (also um einen einflußreichen, wohlhabenden und möglichst noch höheradeligen Ehemann zu finden) als Hofdame zunächst zur Statthalterin der Niederlande nach Flandern gesandt. Zwei Jahre später übersiedelten die Schwestern nach Frankreich, um dort den Königstöchtern Claude und Renée zu dienen.

Die vier Mädchen waren in einem ähnlichen Alter, besonders Renée und Anne scheinen eine recht tiefe Freundschaft geschlossen zu haben. Über Mary Boleyn weiß man nicht viel; von Anne ist ihr Interesse an Kultur, Literatur und Musik bekannt: sie schrieb Gedichte, verfasste Sonette und Lieder und erwarb sich sogar am eleganten und geistreichen Hof Frankreichs den Ruf einer umfassend gebildeten, charmanten und gutgekleideten jungen Dame.
Mary verlässt Frankreich 1520, um an den englischen Hof zurück zu kehren, wo sie Hofdame der Königin Katarina von Aragon wird und den Höfling William Carey heiratet. Der König ist bei dieser Zeremonie anwesend und es wird vermutet, dass schon bald nach diesem Ereignis Heinrich VIII. Mary zu seiner Mätresse macht; zwei Kinder werden ihm, nicht dem Ehemann William zugerechnet. Diese Affäre soll nicht lange angehalten haben, weshalb Mary all die Eigenschaften angedichtet wurden und werden, die Anne vermissen lässt: anschmiegsamer und dümmer, freundlicher und anspruchsloser, langweiliger und verträglicher, blonder, molliger, träger. Nunja … irgendetwas ist ja immer falsch mit den Frauen.
Immerhin hat Mary es nach dem Tode ihres Gatten gewagt, ohne die Erlaubnis des Königs aus Liebe zu heiraten – kein Höfling durfte das wagen. Sie wurde vom Hofe verbannt, ihre Einkünfte gestrichen und dafür wurde natürlich Anne verantwortlich gemacht, die im Jahre 1534 Königin von England war. Aber langsam, langsam, dahin kommen wir noch. Was ich sagen will: Mary musste für diese Handlung nicht unbedingt dumm gewesen sein; es mag sein, dass sie verliebt, unbekümmert und freiheitsliebend war – wer kann das schon wissen?

Anne Boleyn kam ein Jahr später, 1521, zurück und war offenbar nicht bereit, sofort zu heiraten – in einer Zeit, in der Ehen unter den vornehmen und weniger vornehmen Familien arrangiert wurden, ist wohl anzunehmen, dass eine hübsche junge Frau mit Bildung und französischem Schliff, aus einer einflußreichen Sippe stammend, leicht loszuschlagen gewesen wäre. Anne aber galt schon als junges Mädchen als eigensinnig, temperamentvoll und störrisch; es mag also sein, dass sie sich das Auswählen eines Ehemannes verbeten hat. Viel wissen wir nicht, denn selbst Geburt und Tod waren so selbstverständlich in dieser Gesellschaft, dass man das Notieren solcher Ereignisse kaum für nötig hielt; umso weniger neigte man dazu, allzu viel über die weiblichen Mitglieder einer Familie fest zu halten.

Nun, Anne kam an den englischen Hof zurück, ebenfalls als Hofdame Katarinas, war die am elegantesten gekleidetete Dame des Hofes, sie tanzte vorzüglich, ließ bon mots von ihren Lippen perlen und verhielt sich ansonsten, wie es sich gebührte: unauffällig. Doch Heinrich – der seine (darf ich gemein sein?) kleinen gierigen Schweinsäuglein immer umherstreifen ließ – fiel sie auf. Man kann wohl sagen: leider …

Heinrich VIII – eines der schöneren Bilder seiner selbst

So also sah er aus im Jahre 1531 – wer könnte widerstehen? Sechs Jahre zuvor soll Anne ihm aufgefallen sein, seit 1525 sei er in sie verliebt gewesen. Auch hier weiß man nichts zu genaues: wann genau sie sich wo und wie sahen, seit wann er versuchte, sie in seinen königlichen Alkoven zu ziehen. Aber seit 1525 begann er, Anne zu belagern; sie mit Briefen und Geschenken, überraschenden Besuchen, wann immer sie sich auf den Familiensitz in Hever zurück gezogen hatte, zu bedenken. Anne lehnt ab. Wieder und wieder und wieder. Entzieht sich, beantwortet Briefe nur kühl, erklärt recht deutlich, dass sie keinerlei Interesse daran hat, eine königliche Mätresse zu werden, sagt wohl auch, dass für sie nur eine standesgemäße Heirat in Frage kommt. Ob sie damit ihn meinte oder ob sie nach etwas verlangte, was nicht erreichbar war, um ihn abzuwimmeln – wer kann das schon sagen?

Und ab hier wird es dann spannend, denn für die männliche Geschichtsschreibung ist eines ganz klar: Anne Boleyn taktiert, spielt ein gefährliches Spiel, legt den Grundstein für ihr eigenes Verderben – ein häufiger Kommentar unter heutigen Artikeln lautet: “She had it coming” – sinngemäß ein “Selbst schuld!” Denn Anne Boleyn hatte sicherlich schon beim ersten Anblick dieses wohlgestalteten und mächtigen Mannes nur eines im Sinn: Königin zu werden und koste es die Welt, möge es Verderben über diesen edlen Recken und sein gutes Reich bringen! So sind wir Frauen halt.

Vielleicht Zeit, einen Blick auf Heinrich zu werfen: als ganz junger Mann noch schlank und rank, mit roten Haaren und hochempfindlicher, sich schnell rötender Haut gesegnet, leidlich begabt, wenn es um das Komponieren und Dichten ging, dafür aber sehr enthusiastisch, durchaus nicht unsportlich, ist er der zweite in der Thronfolge. Sein Bruder erhält eine Braut aus dem mächtigen Spanien, heiratet – und stirbt. Heinrich übernimmt. Thron und Braut, denn eine spanische Prinzessin zurück zu schicken, das kam nicht in Frage. Der Papst muss bemüht werden, denn eine Beziehung zur Frau des Bruders ist nicht erlaubt. Doch es kann bewiesen werden, zu einem Vollzug dieser sehr kurzen Ehe sei es nicht gekommen.
So will es Heinrich VII., sein Vater, der so lange handeln musste, um diese Prinzessin zu erhalten. Thronfolger Heinrich hat nach einigen Ausreißversuchen nichts dagegen, Katarina nach langer Verlobungszeit zu heiraten, allerdings erst nach dem Tode des Vaters. Bei der Heirat ist er 17 Jahre alt, die Braut 23. In den ersten Ehejahren ist er hingerissen von der älteren und gebildeten Katarina – kein Wunder, er ist jung und willig und so eine Chance bietet sich nicht alle Tage. Später wird er behaupten, er sei herein gelegt worden; seine Ehe mit Katarina sei nur deshalb ohne Sohn und mit nur einer einzigen unbrauchbaren Tochter geblieben, weil Gott diese Verbindung nicht gewollt habe – Katarina müsse gelogen haben und habe eben doch mit seinem Bruder im Bette gelegen.

Ja, Heinrich war schon ein Mann, den wir alle gerne hätten: ständig darauf aus, seine Männlichkeit zu beweisen. Überall musste er der Erste, der Beste, der Größte sein, ob beim Schnulzen singen, beim Turnier, beim Essen und Trinken oder unter Königen und beim Weibsvolk. Dazu hielt er sich für tiefgläubig und wahrhaft christlich und war doch in Wirklichkeit vor allem gottes-fürchtig, wenn ihm alles um die Ohren flog, was er selbst zum Einsturze gebracht hatte. Er war jähzornig, extrem egozentrisch, maßlos und neidisch, gierig, eifersüchtig. Sowas kann aus schüchternen und unsicheren Jungs werden. All diese Eigenschaften bewies er oft und ausdauernd, Freundschaften bedeuteten ihm nicht viel und was er für wahre Liebe hielt, war meist nicht mehr als Besitzgier und Lust.

Und da frage ich mich und euch: dieser Mann kommt also nun auf dich zu, er ist noch nicht ganz das Monster, als das er sich erweisen wird, er war der Geliebte deiner Schwester und möchte nun, dass du in sein Bett steigst. Die typisch weibliche Reaktion ist gewiß, ihn heiraten zu wollen … und wir wissen ja alle: wenn eine Frau nein sagt, meint sie das gar nicht so. Genau diese alte Ausrede sämtlicher Vergewaltiger ist wohl auch Grundlage der Historienschreiber oder beispielsweise dieses Artikels des Focus (eh berühmt für ausgewogene und objektive Berichterstattung – ich hingegen schreibe ganz bewußt sehr subjektiv). Frauen, die also nicht wollen und nein sagen, entfachen dadurch die männliche Liebesglut noch stärker – ich denke, das kann nur für sehr gestörte Männer gelten. Was in diesem Fall ja hinkäme. (Hätte ich meinem eigenen Mann ein ständiges Nein um die Ohren geschlagen, so hätte er sicherlich sehr bald abgewunken und sich gesagt, die ist es halt nicht, so what.)

Liest man sich einige seiner Briefe durch, so ist man aber doch verblüfft: der Ton ist meist schmachtend-zärtlich und er scheint sich oft auch wirklich um sie zu sorgen und zu kümmern. Eben so oft spricht er von seiner Qual, von seiner Unsicherheit, wie er ihre Liebe erringen und erhalten könne, mitunter klingt Wut und Ärger durch. Ähnlich wie Wallis wird auch Anne eine Wandlung durchgemacht haben: sich ihrem Herrscher komplett entziehen konnte sie nicht und über lange Zeit hinweg mit Liebesschwüren und Beteuerungen, mit Gnadenbeweisen und Geschenken eingedeckt zu werden, ändert den Blick auf den beständig seine tiefe Liebe beteuernden Mann sicherlich. Irgendwann im Laufe der Jahre muss sich ihre Meinung geändert haben: sie muss an diese tiefe Liebe geglaubt haben, da dieser Mann, der – aufgrund seiner Stellung – jede Frau am Hofe haben konnte, lieber mit ihr auf einer Gartenbank Gedichte rezitierte und ihre Weigerung, ihm gefügig zu sein, so lange so anbetend ertrug.
Ihre Gefühle für ihn wurden weicher und zärtlicher und nun bot er ihr, was ihren Ehrgeiz, den sie ganz klar besaß, beflügelte: er wollte sie heiraten. Und dazu grub er das oben erwähnte aus: seine Frau sei gar nicht seine rechtmäßige Frau; der Papst solle mal schnell eine Scheidung durchwinken. Wie Päpste so sind, dachte dieser gar nicht daran – England hatte für den Großteil Europas keine besondere Bedeutung, zur Seemacht war es noch lange nicht aufgestiegen und die Hälfte dieser Insel war ja kaum zivilisiert. Und für einen König dieses Landes sollte sich der Papst mit seiner allerkatholischsten Majestät, dem König von Spanien, anlegen und dessen Tochter als minderwertiges Gebrauchsgut zurück schicken lassen? Eher nicht.

Mittlerweile ließ Anne sich erweichen und ging eine Beziehung zu Heinrich ein, wie er es sich wünschte und vorstellte. Wäre sie wirklich die Taktikerin ohne Herz und Gefühl gewesen, so hätte sie ihm die Erfüllung seines Wunsches sicherlich noch länger verweigert – so bestand ja die Gefahr, er könne sich mit dem neuen Arrangement behaglich einrichten; sicherlich hat es seitdem die eine oder andere Beziehung gegeben, in der der männliche Teil dem weiblichen immer wieder beruhigend versichert, dass er sich demnächst von seiner Gattin trennen und alle anderen Probleme beseitigen werde, wenn nur erst dieses oder jenes geklärt sein werde. Zumindest gibt es zu diesem Thema eine unendliche Menge an Dramen, Romanen und Filmen.

Es scheint eher, dass beide in dieser Zeit durchaus glücklich miteinander waren; beide waren ganz Hingabe aneinander und an ein Projekt, das zusammen schweißte: wir zwei gegen den Rest der Welt. Gegen den bösen Papst, die eifersüchtige Königin, das dumme Volk, die egoistischen Minister und nicht zuletzt gegen die eigenen Zweifel und Ängste.
Anne war der Reformation gegenüber aufgeschlossen, war der Meinung, man müsse verstehen, woran man glauben solle und was man bete und in dieser Bewegung lag auch die Chance für beider Heirat: erlaubte es der Papst nicht, so müsse man sich gegen ihn stellen und sich von der falschen Bevormundung der katholischen Kirche befreien. Dass Heinrich das gut in den Kram passte, können wir uns vorstellen: er selbst als sein eigenes Oberhaupt! Sicherlich lief die Loslösung von Mutter Kirche und die Gründung der anglikanischen Kirche nicht so schlicht ab, aber es geschah. Katarina wurde gegen ihren Willen geschieden und verbannt, ihre Tochter Mary Tudor von der Thronfolge ausgeschlossen. Es war Anne, die versuchte, dennoch ein gutes Verhältnis zwischen Vater und Tochter herzustellen und erwartete dafür von Mary, als Königin anerkannt zu werden. Was diese verweigerte und ihren Vater fast dazu brachte, die eigene Tochter hinrichten zu lassen. Und nun raten wir einmal, wem all dies zugeschrieben wird – die Gründung einer Staatskirche, die unschöne Scheidung, das Lächerlichmachen und Veralbern der ehemaligen Königin, die Streitereien und Zwistigkeiten? Richtig, nicht dem König, dem Guten, sondern der Hexe an seiner Seite. Und auch hier ging es ganz schnell darum, wie Anne Boleyn es wohl schaffen konnte, dem gerechten Herrscher (der er nie war) den Kopf zu verdrehen. Da ist der Bogen zu Wallis Simpson schnell geschlagen, denn genau dieselben Aussagen wie bei Wallis finden sich unter Artikeln zu Anne, wobei der Hexeneffekt noch stärker betont wird.

Da gibt es seit Jahrhunderten eine Beschreibung ihres Äußeren, die immer wieder kolportiert wird: sechs Finger habe sie gehabt, drei Brüste, dicke Warzen im Gesicht, Hexenmale am ganzen Körper. Derjenige, der diese Beschreibung in Umlauf gesetzt hatte, war ein Schreiberling, der zum Zeitpunkt von Annes Tod gerade einmal sechs Jahre alt war und sie nie zu Gesicht bekam. Dass Zeitgenossen, so sie über sie schrieben, vor allem von ihrer anmutigen Gestalt, ihrer lebhaften Unterhaltung, von ihrem Geist und ihrem Esprit sprachen, fällt dagegen kaum ins Gewicht. Wie Wallis auch galt sie nicht als große Schönheit, aber als attraktiv; als Frau, die mit Kleidung und Haltung ihre Persönlichkeit zum Ausdruck brachte. Und Persönlichkeit bei Frauen – wer will das schon?

Zum Einen stellt sich also wieder einmal die unverschämte Frage, wie hat diese Frau das geschafft und zum Anderen gesellt sich dieses Mal noch ein weiterer Faktor dazu: während Edward nur noch rein repräsentative Aufgaben hatte und seine Thronaufgabe keine allzu großen Folgen hatte, war Heinrich ein absoluter Herrscher und noch dazu einer, dessen Machtlust niemals gestillt werden konnte. Das 16. Jahrhundert war eine Epoche, in der die Welt sich änderte, in der der Mensch ein Bewußtsein für Individualität, für geistige Freiheit zwar entwickelte, diese aber nicht zugestanden bekam. Vor allem in England war der Weg zum Schaffot nie weit.

Anne Boleyn war also angenehm anzuschauen, war geistig beweglich, talentiert, ehrgeizig, neigte auch dazu, boshaftes über Menschen zu sagen, über die sie sich ärgerte, setzte sich sehr für die Bildung auch der ärmeren des Volkes ein, nahm ihre königlichen Pflichten in Bezug auf Wohltätigkeit sehr ernst, bemühte sich um eine Versöhnung zwischen Heinrich und seiner Tochter, hielt nicht viel von Vetternwirtschaft, war religiös und politisch reformbegeistert, konnte Heinrich aus seinen mitunter depressiven Phasen holen, tanzte, musizierte, dichtete, stickte, war Stilvorbild und stilbildend und brachte den englischen Hof aus dem Mittelalter in die Neuzeit, schaffte Platz und Anerkennung für Kultur.
All das wollte Heinrich und als er all dies hatte, wollte er noch mehr: jetzt musste der Sohn, der Thronfolger her. 1531 heirateten Anne und Heinrich, 1533 brachte Anne ein Kind zur Welt: Elizabeth, die später Königin werden und England zu der Weltmacht machen sollte, als die es sich heute noch gerne sieht. Aber das ahnte bei ihrer Geburt niemand; Heinrich war bitterlich enttäuscht und zeigte das sehr deutlich.

Noch gab es ja Hoffnung, die Tochter wäre nur die Generalprobe, um zu beweisen, Anne könne Kinder bekommen. Der Sohn müsse ja nun bald kommen. Heute geht man nach Sichtung von Heinrichs Akten davon aus, dass er an einer Geschlechtskrankheit litt, die dafür sorgte, dass die meisten Schwangerhaften (bei all seinen Frauen) abbrachen. Auch Anne hatte unter mehreren Fehlgeburten zu leiden und dazu noch unter dem immer deutlicher formulierten Vorwurf ihres Mannes, sie sei schuld. In Heinrich regte sich die Gottesfurcht: er werde bestraft. Wohlgemerkt nicht, weil ER einen Fehler begangen habe, sondern weil er einer Verführerin, einer Hexe ins Netz gegangen sei. Was er einst anziehend fand, ärgerte ihn nun: ihren zuvor gesuchten Rat empfand er nun als Einmischung; ihre spitze Zunge amüsierte ihn nicht mehr, sondern traf ihn selbst; ihre dunkle Erscheinung war ihm nicht mehr licht genug. Und ich möchte betonen, dass es ein feiner Unterschied ist, ob sie sich von der perfekten Geliebten zur unerträglichen Xanthippe verwandelt hat oder ob er nicht mehr mit ihrer Persönlichkeit klar kam. Ganz sicher aber kam Anne ihre Leichtigkeit, ihr Selbstbewußtsein und ihre Unerschütterlichkeit abhanden: auf ihre Körperlichkeit, ihre Fähigkeit, einen Sohn zu produzieren reduziert zu werden, hat gewiß Folgen gehabt; sie lebte ab nun in Angst, Unsicherheit und Zweifeln.

Jane Seymour

Heinrich, mittlerweile noch mehr trinkend, essend, tobend, ließ seine Augen wieder schweifen und erkor Jane Seymour als neue Favoritin – auch über sie weiß man nicht vieles, doch scheint sie in vielem Annes Gegenteil gewesen zu sein: blond, schüchtern, zurückhaltend, eher schweigend als lebhaft, doch mit einer katholischen Lobby im Rücken. Es scheint so, als hätte sie ihm nicht viel entgegen zu setzen gehabt: der König wünschte, sie kennen zu lernen (durchaus im biblischen Sinne), was konnte sie anderes tun, als zu gehorchen? Zumal ihre Familie ihr einflüsterte, sie könne für eine Herstellung des rechten Glaubens sorgen?

Annes Tage als Königin waren gezählt; Heinrich wußte nun, dass er einer gefährlichen Zauberin aufgesessen war, die ihn ins Unglück stieß und dass das wahre Glück eines Mannes in einer sanften und stillen Gefährtin läge. Doch wie nun heraus kommen? Fortlaufend neue Kirchen gründen konnte selbst er nicht und eine weitere Scheidung schien auch keine Möglichkeit zu sein, zumal Anne für das Recht ihrer Tochter, kein Bastard zu sein, kämpfen würde. Für seine Situation machte Heinrich niemals sich selbst, sondern immer jemand anderen verantwortlich – diesmal war es Anne. Hochverrat wäre die Lösung, dafür würde selbst eine Königin ihren Kopf verlieren. Und bei ihrem Ruf lag es nahe, sie als Ehebrecherin zu beschuldigen – nicht nur mit einem Manne, sondern gleich mit dreien, darunter mit einem ihrer Brüder. Das schien Heinrich angemessen und er tat sein Bestes, sich die von ihm erfundene Anschuldigung auch noch einzureden; auch gibt es wohl Anzeichen dafür, dass Jane Seymours Brüder ihre Hand mit ihm Spiel hatten – ehrgeizig darauf bedacht, aus der Affäre ihrer Schwester das meiste heraus zu schlagen, haben sie am Hofe ordentlich Stimmung gegen Königin Anne gemacht. Als Königin war Anne Boleyn beim Volk übrigens beliebt, auch das stieß Heinrich sauer auf.

Annes Schicksal war noch vor Prozeßbeginn besiegelt, Beweise waren dank der gefolterten vermeintlichen Liebhaber auch bei der Hand. Am 19. Mai 1536 starb Anne auf dem Schaffot, so würdevoll und ruhig, wie es nur ging. Als letzte Gnade ließ Heinrich statt eines englischen Henkers einen französischen Scharfrichter kommen, der mit dem Schwerte, und nicht mit der Axt diese Aufgabe eleganter, schneller, schmerzloser erledigen sollte. Bis zuletzt war Heinrich ganz der Gentleman und gefühlvolle Liebhaber.
Bis zu seiner Heirat mit Jane Seymour ließ er immerhin ganze elf Tage verstreichen. Viel hatte Jane von dieser Ehe nicht: sie brachte im Oktober 1537 den gewünschten Sohn zur Welt, wurde noch im Kindbett auf alle möglichen Jubelfeiern geschleppt, hielt diese Strapaze nicht aus und starb wenige Wochen nach der Geburt. Dass ihre Ehe glücklich war, möchte ich bezweifeln. Im Gegensatz zu Anne hielt sie sich aus der Politik heraus, bis auf zwei Ereignisse: auch sie versuchte, Mary Tudor und ihren Vater zu versöhnen, was Heinrich amüsiert-herablassend zur Kenntnis nahm. Und sie flehte um Gnade für katholische Aufständische, was Heinrich sich verbat. Sehr deutlich verbat, denn er gab ihr zu verstehen, wie die letzte Königin geendet habe. Jane, die alles andere als selbstbewußt war, dürfte von da an in Angst und Bangen gelebt haben.

Anna von Kleve

Heinrichs Ehekarriere verlief weiterhin holprig, um es freundlich zu sagen: die nächste adoptierte er als liebe Schwester, da er nicht in der Lage war, die Ehe mit ihr zu vollziehen – die Schuld lag bei Hans Holbein und seinem trügerischen Portrait der Anna von Kleve. Heinrich, mittlerweile eher fett als dick, kurzatmig, zu viel trinkend und keine zwanzig mehr, machte die körperliche Ausstattung seiner neuen Frau und keinesfalls den eigenen Zustand für seine Schlappe verantwortlich; recht lautstark erzählte er von ihren angeblich zu riesigen und hängenden Brüsten, die ihm die Luft zum Atmen genommen hätten – es geht doch nichts über zweierlei Maß.
Anna, für alle Anwesenden sichtlich erleichtert, nahm das Angebot, ihre Ehe in eine Adoption zu wandeln, gerne an und residierte weit genug weg vom Hofe, um in keinerlei Intrige gezogen zu werden. Ihre Hochzeitsnacht möchte ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen müssen; schon ihre Anreise zu diesem frauenverbrauchenden Tyrannen muss der Horror gewesen sein.

Für Heinrich musste nun was junges her und seine Wahl fiel auf Catherine Howard, einen mit Anne Boleyn verwandten Teenager. Das Mädchen war sich nicht bewußt, was auf sie zukam, war unglücklich und naiv, verliebte sich in einen Gleichaltrigen und ließ sich mit ihm bei Spielereien erwischen, die nun wirklich der Hochverrat waren, den man ihrer Cousine angedichtet hatte. Ich müsste nun einmal forschen, ob Heinrich hier auch noch den französischen Spezialisten einreisen ließ oder ob das zuviel der Ehre gewesen war.

Einen letzten Versuch startete er noch, mittlerweile von allen als gefährlicher Tyrann, dem man nicht widersprechen durfte, wahrgenommen: Catherine Parr, eine zweifache vermögende Witwe von 31 Jahren, die sich eigentlich gerade mit einem Bruder von Jane Seymour verloben wollte, es aber dann als ihre ihr von Gott auferlegte Pflicht ansah, Heinrich zu heiraten, als der darum verlangte. Intelligent, gebildet, ausgeglichen, gut vernetzt und erfahren war sie, wie ihre Ehe verlief, kann ich nicht sagen, aber es war sicherlich ein Glück, dass Heinrich vor ihr starb – man konnte nie wissen.

Catherine Howard
Catherine Parr

Ihr Lieben, ich glaube, ich habe mich sehr mitreißen lassen, mittlerweile schreibe ich seit über dreieinhalb Stunden und es wird endlich Zeit für das Fazit: über Jahrhunderte schwang in Berichten über Anne Boleyn eine klare Moral für Frauen mit, die da lautete: seid schön, seid still, tut, wie euch befohlen und seid dem Manne untertan und zu Wohlgefallen, ansonsten … !

Übrigens lässt sich noch ein weiterer Bogen zu Wallis Simpson schlagen: sobald Wallis mit Edward auf den Bahamas festsaß und dort sogar politische Aufgaben mit Nutzen wahrnehmen durfte, beschäftigtete sie sich sehr ausgiebig mit den Biographien zweier Frauen: Marie Antoinette und Anne Boleyn. Und ich wüßte zu gerne, ob ihr auffiel, dass sie selbst und Anne sehr ähnlich von einer frauenunfreundlichen Umgebung wahrgenommen wurden.

Irgendwie habe ich das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen für diesen sehr langen Text und der nur sehr undeutlich heraus gearbeiteten Botschaft, aber Spaß hat es doch gemacht und ja, ich überlege, mir noch ein oder zwei oder drei Frauen vorzunehmen …