Oder: Was erwartet eine Leserin?
Oder: Was kann ich ihr bieten? Oder: Was erwartet meine Leserin?
Fragen über Fragen, die mich schon lange bewegen und auf die ich keine gesicherte Antwort habe. Nicht so ganz zumindest. (Warnung: Das wird lang!)
Falls es nicht irgendeine Person da draußen gibt, die mich – aus welchem Grund auch immer – abgrundtief hasst und deshalb in schöner Regelmäßigkeit zwei, drei Wochen nach dem Erscheinen eines neuen Buches die Ein-Sterne-Bewertung hinterlässt, dann darf ich wohl sagen: Ich bzw. das, was ich schreibe, gefällt nicht allen Leserinnen und Lesern. Ich errege mit meinen Geschichten sogar ausreichend viel Abscheu, dass diese Ein-Sterne-Bewertungen bei so ziemlich all meinen Roman zu finden sind. Über den Punkt, an dem ich tagelang weinte, nichts mehr schrieb und kurz davor war, alles zu vernichten, was ich jemals geschrieben hatte, bin ich zum Glück hinaus. Gut geht es mir dann noch immer nicht, andererseits passiert es doch immer wieder, dass nach der Vergabe der Ohrfeige genau dieses Buch öfter gekauft wird (sollte es also doch diese eine Person geben, die mich ärgern will: Danke, danke, danke :))
Aber ich verlaufe mich gerade wieder, also zurück zum Thema: Was erwartet die Leserin, was erwartet sie von mir und was bekommt sie?
Um das zu erfahren, lese ich die negativen Rezensionen und erfahre: Fräulein Schumacher ist entweder zu naiv, zu unschuldig und zu wenig unternehmungslustig, oder aber sie ist zu naseweis, zu übergriffig und hyperaktiv. In jedem Fall aber findet viel zu viel Alltagsleben statt, der Krimiteil ist nicht blutig genug und zu viele Seiten haben die Emma-Krimis sowieso.
Heißt im Umkehrschluss: Ich schreibe für diejenigen, die neben dem eigentlichen Fall eine Geschichte wollen, die Platz bietet für das Leben der Hauptperson, die zeitliche und lokale Einordnung und Charaktere, die nicht nur Stichwortgeber sind. Was nicht bedeutet, dass ich jedem Klischee bei der Figurenzeichnung aus dem Weg gehe – mit solchen typischen Bildern, die wir alle kennen, lassen sich wunderbar kleine, amüsanten Zwischenszenen malen, die vielleicht nichts zur Lösung des Falls beitragen, dafür aber Entspannung bieten, bevor etwas geschieht, das von Bedeutung ist. Wer auf rasende schnelle Thriller steht, auf andauernde Bedrohung und sogar Blut, das in Strömen über die Seiten fließt, wird vermutlich tödlich gelangweilt Fräulein Schumacher in die Ecke pfeffern.
Das sagt mir was genau: Schaue ich mir die Bestsellerlisten an, dann lerne ich, ich schreibe an den Erwartungen vieler, vieler Leserinnen vorbei. Was erklärt, warum ich schlechte Bewertungen erhalte – es gelingt mir nicht immer, die nicht passenden Leserinnen mit meinen Covern und Klappentexten abzuschrecken :D
Weil ich aber doch viel Wert darauf lege, die realen Ereignisse der Zeit einzuflechten, verschrecke ich auch die eine oder andere Cosy Crime Leserin, die die Zwanzigerjahrekrimis des englischen Sprachraums gewohnt ist. Wo die englische Tochter eines Lords oder die amerikanische Dollarprinzessin mit Tüdelü und Tralala im Charlestonschritt durch die Goldenen Jahre tanzt, haben Emma und ihre Freunde mit dem Aufkommen der Nazis, Kriegstraumata der Verlierer und vielen anderen Dingen zu tun, die einen durchgängig heiteren Ton verhindern. Wieder enttäusche ich Erwartungen.
Ähnliches gilt aus anderen Gründen für die beiden anderen Krimireihen, die ich aktuell schreibe (oh, und ich würde so gerne auch einen weiteren Fall für Elizabeth Teague schreiben, komme nur nicht dazu, deshalb beziehe ich sie hier nicht mit ein): Monsieur Sandberg verdient sich im Jahr 1919 seinen Lebensunterhalt mit kriminellen Aufträgen, wobei auch Mord dazu gehören kann. Er hat ganz eigene, durchaus hohe moralische Grundsätze, die er erfüllt sehen muss, bevor er einen Vertrag unterschreibt.
Das könnte nun theoretisch eine sehr düstere Reihe sein, aber da Sandberg einen Auftritt bei Fräulein Schumacher hatte, fühlt auch er sich dem gelegentlichen Humor und einer dialoglastigen Geschichte verpflichtet. Blutig geht es nicht zu, aber wir stehen eben doch auf der anderen Seite des Gesetzes. Wohin gehört diese Serie nun? Cosy nicht, er ist ja Profi, nicht Laie. Am ehesten ist es eine internationale Agentengeschichte, denn Sandberg kommt ordentlich rum in seinen Missionen und hat sich selbst die Lizenz zum Töten verliehen. Was er so charmant tut, dass ein Hauch von Cosy durch die Zeilen weht. Doch ein Roman, der sich schlecht einordnen lässt, ist immer an der Erwartung der meisten Leserinnen vorbei geschrieben. Tja …
Bei Mariella wollte ich dann doch einmal genau das schreiben, was man sich von einem Cosy Crime der Zwanziger erwartet: Tralala und Tüdelü in eleganten Abendroben. Ermittelt wird mit Champagner in der einen und einer zierlichen Ladysmith in der anderen Hand. Dumm nur, dass ich nicht widerstehen konnte, die Serie auf eine fiktive Insel zu verlegen, in der die Zwanziger ganz anders sind: bunt, divers, frauenfreundlich. Mariellas beste Freundinnen sind ein Pärchen, was niemand der Rede wert findet (bislang spielen sie nur winzige Nebenrollen, aber das wird in einem weiteren Fall anders sein). So wenig, wie die Hautfarben der Caspilliani, die von leuchtend weiß bis tief schwarz jede Nuance haben dürfen.
Logisch: Das gefällt nun auch nicht allen, wieder sause ich am Ziel vorbei. Naps aber auch! (Das ist DER Fluch für absolut alles auf der Insel.) Wer aber Miss Fishers mysteriöse Mordfälle und Death in Paradise mag, hat hier eine Mischung aus beidem – was keine Absicht war!
Gut. Wie sieht es denn dann im historischen Feld aus? Hedwig könnte doch genau das sein, was man sich heute unter einer Triloge über eine starke Frau um 1900 vorstellt. Oder?
Ganz ehrlich, das hatte ich vor. Aber dann habe ich mich viel zu intensiv mit dem Leben der Dienstmädchen befasst, habe Unmengen an biografischen Berichten und Erinnerungen gelesen und alle möglichen Doktorarbeiten vor allem der Achtziger durchforstet. Und immer wieder fiel auf, wie unglaublich schicksalsergeben diese Frauen waren oder wurden. Wie wenig Bedeutung sie der Liebe beigemessen haben, wie sie selten einmal das erhalten haben, was sie sich erträumten – vor allem dann, wenn sie es erhielten. Aber so war das Leben nun einmal und wollte man mehr, so bedeutete auch das harte Arbeit.
Und so wurde aus meiner Hedwig, die munter, niedlich und lustig sein sollte, eine junge, hart schuftende, aber gütige Person, die nur langsam lernt, was sie aus sich machen kann. Ich liebe sie sehr und erkenne in ihr ziemlich vieles, was ich auch in meiner liebsten Großtante Tinni gesehen habe – der ich als Emmas Tante Tinni das Leben gegeben habe, das sie sich gewünscht hat.
Schlimmer noch: Ich habe Hedwig keinen der Träume so erfüllt, wie man es sich in einer Frauensaga wünscht. Ich lasse sie schuften und leiden und hoffen und dennoch fällt es ihr nicht ein, sich als unglücklich zu bezeichnen. Ist nun alles, was sie erlebt, ungewöhnlich und nie dagewesen? Natürlich nicht. Aber es läuft wieder neben den Erwartungen her. Hedwig ist keine der Heldinnen, die sich immerzu von allen vernachlässigt und schlecht behandelt glauben, obwohl sie täglich spürt, wie abhängig so von ihrer Umgebung ist. Sie beginnt ihren Lebensweg nicht aus einer priviligierten Position heraus, sie hält sich nicht für wertvoll oder besonders, sie hat keine Zeit, über ihr Äußeres nachzudenken. Auch das gefällt nicht allen.
Ja, und meine Jane Austen-Reihe und mein geliebtes Institut für Fantastik – auch hier biege ich weit vorm Ziel schon ab und renne kreuz und quer. Wer Regency Romance wie Bridgerton sucht, kann In Love with Austen nur hassen, und wer bei Fantasy Schwertkampf und Schlachten und Zauberschulen sucht (obwohl ich etwas Ähnliches habe, wo beispielsweise Olivero ausgebildet wurde), ist bei mir natürlich auch wieder falsch. Es ist eine Schande.
Oder?
Oder auch nicht. Denn zum Einen mag und kann ich mich nicht so verbiegen, dass ich nach dem Markt schreibe, so gerne ich das manchmal auch möchte. Dafür bin ich zu doof oder lasse ich mich zu leicht von den spontanen Einfällen meiner Figuren zu einer neuen Handlung verführen. Und genauso liebe ich es, nur deshalb kann ich täglich Stunde über Stunde schreiben und das Tag für Tag.
Und zum Anderen gibt es eben die Leserinnen, wenn sie auch in Minderzahl sind, die genau diese Geschichten lieben und sich auf das nächste Buch freuen, egal, welches Genre es ist. Weil sie wie ich auch in den Hauptfiguren Freundinnen sehen, mit denen sie gerne Zeit verbringen, von denen sie sich ablenken und entführen lassen. Weil sie sich freuen, wenn eine Erwartung (oder manches Mal eine Befüchtung) nicht oder zumindest anders erfüllt wird. Weil sie gerne lesen, wie Emma langsam doch noch das Kochen lernt und nicht nur dem Mörder nachrennt. Weil sie gerne auf einer Insel leben würden, die wie Saint Caspilian ist. Weil sie Melisande warme Magie so sehr schätzen wie Swanhilds kühlen biss. Weil es eben Leserinnen gibt, die mich anschreiben und mir ganz genau sagen, warum sie mich lesen. Und das ist, weshalb ich weiterhin ganz willig und froh knapp vorbei schreibe an allem, was erfolgreich machen könnte.