Philippe de Beretton hat nur einen Wunsch: Heim zu Luise, heim nach Bonn – und vergessen, was in Paris vor sich geht. Doch genau dorthin muss er; einmal noch in diese Stadt, in der er längst als Feind der neuen Ordnung gilt.
Luise bemüht sich währenddessen um Geduld und Zuversicht. Doch dann erhält sie eine Nachricht, die sie jegliche Vernunft vergessen lässt. Sie muss zu Philippe! Sie muss nach Paris!
In Bonn am Rhein glaubt man sich weit fort von den immer blutiger werdenden Aufständen in Frankreich. Doch vier Tagesreisen sind keine unüberwindbare Entfernung. Nicht für zwei Liebende und ebenso wenig für siegreiche Revolutionstruppen.
Die Französische Revolution. Tja. Also. Je nachdem, von welchem Standpunkt man sie betrachtet, wird man von diesem Ereignis als dem großen Freiheitskampf sprechen, der für eine gerechtere Staatsform gesorgt hat und die Menschenrechte in Europa verankert hat. Man wird über die armen Bauern sprechen, über den dekadenten Adel und absolute Monarchen, über Hunger, Elend und Willkür. Den terreur wird man natürlich abscheulich finden und grauenvoll, sich dabei vielleicht ein bisschen angenehm gruseln, aber insgesamt eher die Errungenschaften dieser Revolution betonen. Gut, ok, danach kamen dann erst einmal ein Kaiser und dann wahrhaftig die beiden jüngeren Brüder von Louis XVI (die dafür nun wirklich nicht erzogen worden waren) als Könige auf den Thron. Dann wieder Kaiserreich und insgesamt ungezählte Republiken nebst zwei weiteren, nicht ganz so gewaltigen Revolutionen. Hmm. Man könnte meinen, die Franzosen haben sich so richtig ins Zeug gelegt für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Dass die Französinnen erst 1944 das Recht erhielten, sich an Wahlen zu beteiligen, ist vor diesem Hintergrund ein Armutszeugnis. Mehr noch deshalb, weil vor der Revolution (und das nicht nur aus heutiger Sicht) das 18. Jahrhundert als ein Jahrhundert der Frauen galt. Nicht nur, aber besonders in Frankreich. Autorinnen, Schauspielerinnen, Salonièren, Spioninnen, Malerinnen, Sängerinnen, Lehrerinnen, Mätressen, Fürstinnen und Königinnen: Ihr Wort hatte Gewicht, man erkannte ihr Talent an, verehrte und würdigte sie. Selbstverständlich immer im Rahmen, das ist heute noch immer nicht anders. Bestimmt hat auch damals schon so manche kluge Frau vor Wut in die Kissen geschlagen, weil sie sich wieder und wieder anhören durfte, das, was sie täte, habe sie sehr gut getan. Für eine Frau gut getan. Dennoch: Trotz vielen Hindernissen und dümmlichen Ideen heute noch bewunderter männlicher Denker. Rousseau anyone? Goethe? Die wussten genau, welchen Platz eine Frau hatte. Und konnten doch nicht verhindern, dass die Damen sich ihren Platz selbst suchten, besten Dank auch, die Herren. Und diese Damen stammten nicht alle aus begüterten und hochstehenden Familien; manch eine hat sich ihren Weg mühsam erkämpft und erarbeitet – mit Lesen lernen, Klinken putzen, außerhalb der Gesellschaft stehen, weitermachen. Und dann auf einmal hörte man ihnen zu, dann lobte man ihren neuen Roman oder den besonderen Federstrich, der ihre Gemälde auszeichnete. Auch Mätressen wie die Pompadour oder in etwas bescheidenerem Maße die Dubarry waren mehr als nur Geliebte eines Königs. Sie waren bestimmend für millionenschwere Branchen wie Mode, Malerei und Musik, die förderten eben jene Denker und Dichter, die es ihnen übel vergolten.
Aber nicht nur in diesen eher schöngeistigen Bereichen waren Frauen tätig. Sie führten Geschäfte, oftmals nach dem Tod des Gatten, und es ist vielleicht von Bedeutung, dass Witwen nur selten nochmal heirateten. Wieso die schöne Freiheit aufgeben? Da wäre in Bonn beispielsweise die Witwe Koch gewesen, die den Gasthof Zehrgarten am Markt führte und die diesem Geschäft eine Buchhandlung unter demselben Dach zufügte. Ihre Tochter Barbara, Babette genannt, gehörte zum Freundeskreis rund um Ludwig van Beethoven und galt als die schönste, klügste, gebildetste Frau der Stadt, der alle zu Füßen lagen. Geheiratet hat sie erst mit über dreißig – auch das, das späte Heiraten, war etwas durchaus übliches zumindest in rheinischen Landen. Siebenundzwanzig war das Durchschnittsalter. Doch zurück zur Mutter: Die nämlich lebte bald schon mit einem Hausfreund zusammen, den sie niemals heiratete, Was ihrem guten Ruf, sogar beim Kurfürsten, keinen Abbruch tat. Natürlich war in diesem Jahrhundert nicht alles eitel Sonnenschein für Frauen, aber es war seit langer, langer Zeit endlich einmal so, dass man mit Hoffnung für die Töchter und Enkelinnen nach vorne blickten konnte. Und das auch tat.
Blöd nur, dass mit der Revolution, die sich ganz, ganz schnell nur auf den Mann konzentrierte, das zuvor durchaus positive bürgerliche Ideal bestimmend wurde. Bürgerlich – das war im 18. Jahrhundert gleichbedeutend mit links (hätte es den Ausdruck schon gegeben), mit progressiv und gerecht. Der Adel galt als dekadent und unmoralisch – unmoralisch im Sinne von menschenverachtend, keiner Tugend wie Güte, Nächstenliebe, Mitleid und Aufrichtigkeit unterworfen. Das Bürgertum dagegen reklamierte für sich all diese guten Eigenschaften. Für was steht bürgerlich heute? Für konservativ, unbeweglich, spießig. Für enge Moralvorstellungen. Nicht ohne Grund, denn all die Tugenden waren keine Ideale mehr nach der Revolution, sondern Pflicht. Für Frauen. Jungfräulichkeit, Scham, Schweigen, Gehorsam – das galt auf einmal mehr, erzog man eine Tochter, als Rhetorik und Bildung, die eine Frau befähigt hätten, dem Gemahl echte Gefährtin zu sein. Nun war sie sein Besitz, mehr als zuvor. Im gesamten 19. Jahrhundert ging es Frauen deutlich schlechter als zuvor. Die Französische Revolution hatte mit ihnen abgerechnet – da war endlich auch die Gelegenheit des kleinen Mannes, mit diesen Frauen kurzen Prozess zu machen, die es gewagt hatten, sich zu amüsieren über männliches Gehabe, die sogar Stellen am Hof innehaben konnten, die gefeiert wurden als Künstlerinnen.
Natürlich ist das eine sehr verkürzte Darstellung, absoluter und unbedingter geschildert, als es überall und für jede galt. Aber an so vielen Kleinigkeiten ist diese Veränderung gut abzulesen. Modezeichnungen beispielsweise: Schauten die Damen um 1780 stolz aus den Magazinen, so sah man mit dem Fortschritten des 19. Jahrhunderts immer öfter liebliche Zeichnungen von schüchternen Fräulein, die einander liebevoll umarmten und wie Lady Di von unten zum Zeichner aufzublicken schienen. Oder eine Jane Austen, die noch im Sinne des vorherigen Jahrhunderts erzogen worden ist, die einen Vater hatte, der es normal fand, dass seine Töchter alles lesen durfte, was in seinem Haus zu finden war – sie galt ihrer eigenen, nachgeborenen Familie als wenig vornehm, als schlecht erzogen, als viel zu unweiblich und peinlich. Was die Schwester Cassandra nicht aus Taktgefühl an Briefen vernichtet hatte, zerstörten nun die Neffen und Nichten aus Scham und Ekel.
Bis man wieder von einer Zeit der Frau sprechen konnte, musste es 1925 werden. Und wir wissen, wie schnell diese Zeit wieder zu Ende war. Jetzt eben, heute, erleben wir den nächsten Backlash, den nächsten, schon wieder viel zu erfolgreichen Versuch, Frauen (und damit immer ein halbes Volk) zurückzudrängen und mundtot zu machen. Wenn Frauen in den USA wieder Angst davor haben müssen, ungewollt schwanger und damit dem sozialen Abstieg entgegenzusehen oder in einer lieblosen Ehe gefangen zu bleiben, dann haben sie nicht die Kraft, sich gegen andere Veränderungen zu wehren).
Sicherlich ist es auch kein Zufall, dass Olympe auf dieser Zeichnung nicht nur zum Opfer der Guillotine wurde, sondern dazu noch mehr oder weniger nackt dargestellt wurde.
Wie sehr die Revolution allein für den Mann gedacht war, machten die jeweils (ich füge schadenfroh und brutal hinzu: oft nur kurz) Herrschenden immer wieder klar. Es war nicht vorgesehen, dass Frauen wählen sollten oder gewählt werden konnten. Das einzige Recht, das sie mit den Männern teilten, war das Recht, hingerichtet zu werden. Als Olympe de Gouges (wer sie nicht kennen sollte, bitte googlen, sonst muss ich nämlich einen Roman über sie verfassen und gerade heute ist mir die Zeit doch ein wenig knapp :D) 1791 in Antwort auf die Zustände die Frauenrechtserklärung verfasste und dafür sehr, sehr, sehr viel Zuspruch – durchaus auch von, zu allen Zeiten auch vorhandenen, gerechten Männern – erhielt, geriet sie in Gefahr. Man behielt sie im Augen, hetzte gegen sie und andere Frauen. Sie, die aus kleinen Verhältnissen stammte und überhaupt erst das Lesen erlernen musste, war mit ihren Schriften eine ernstzunehmende Gegnerin der Verhältnisse und bald auch Robespierres.
1793, kurz nach Marie Antoinette, wurde sie hingerichtet, bald nach ihr auch Madame Roland. Alle drei starben, so gestand man ihnen durchaus widerwillig zu, voller Würde, ruhig und scheinbar gelassen. (Dass das vielleicht der falsche Weg war, um die Schreckensherrschaft zu beenden, zeigte eine Aussage des Henkers Sanson, der meinte, wären alle so zum Schafott gegangen wie die unglückselige Dubarry, dann hätte es bald keine Hinrichtungen mehr gegeben. Die nämlich hatte gekämpft, um sich geschlagen, gebissen und gekratzte, sie hatte geweint, um Gnade gefleht und geflucht, bis das Publikum es kaum noch ertragen konnte und die Stimmung zu ihren Gunsten kippte. Sie verausgabte sich so sehr, dass sie vermutlich bewusstlos war, als man sie köpfte.) Aber Olympe de Gouges ging aufrecht in den Tod, still und gefasst. Die Zeitungen der Republik ließen keinen Zweifel daran, worin ihr Verbrechen bestand:
So führt das Revolutionstribunal den Frauen ein wichtiges Exempel vor Augen, das zweifelsohne für sie nicht ohne Bedeutung sein wird. Denn die Gerechtigkeit, immer unparteiisch, stellt der Strenge die Lehre zur Seite [ ] Olympe de Gouges wollte Staatsmann werden, und es scheint, dass die Verschwörerin vom Gesetz gestraft wurde, weil sie die Tugenden, die ihrem Geschlecht gebühren, verleugnete. [ ] Frauen [ ] liebt, achtet und tragt die Gesetze weiter, die Eure Gatten [ ] an die Ausübung ihrer Rechte gemahnen [ ] Seid schlicht in Eurer Kleidung, fleißig in Eurem Haushalt. Geht niemals in die Volksversammlungen mit dem Wunsch, dort selbst zu sprechen «
(Salut Public, Organ der Republik. November 1793) über fembio
Vermutlich hätte Madame de Condorcet schon damals dieselbe Antwort auf diesen Artikel geben können, die sie1795 Napoleon, damals noch General Bonaparte, gab. Der nämlich meinte bei einem Besuch in ihrem Haus: Ich liebe es nicht, dass die Frauen sich in Politik mischen. In einem Lande, wo man ihnen die Köpfe abschneidet, ist es begreiflich, dass sie Lust bekommen zu wissen, warum dies geschieht. Aber wenn es in den letzten Jahren der Neunziger noch einige einflussreiche Salons geistreicher Damen gab, änderte das nichts daran, dass für die Frauen die Revolution verloren war. Nur wenige Männer, eben Monsieur de Condorcet und der Abbé Sieyès, setzten sich für eine Verbesserung weiblichen Lebens ein. Wer sich übrigens ebenfalls für mehr Bildung und Mitsprache der Frauen stark gemacht hatte, war ausgerechnet Robespierre. Davon aber wollte er nichts mehr wissen, nachdem die Revolution voranschritt – er kam nach oben, weil er sich lange nach der herrschenden Meinung der Kollegen richtete und diese zu seiner eigenen machte. Von Frauen im Konvent wollten die meisten nichts wissen. Wie anders wäre nicht nur die Revolution, sondern die nachfolgende Geschichte überhaupt verlaufen, hätte er sich seiner früheren Überzeugung besonnen?
Nun, im nächsten Jahrhundert werden immer mehr Schriften dazu veröffentlicht, wie eine Frau zu sein hat und wie nicht. Ihr Wirkungskreis beschränkt sich aufs Haus und auch da hat sie bitte demütig und gehorsam zu sein. Gerne auch hübsch und nett angezogen, aber vor allem hübsch sparsam und sittsam angezogen. An der Frauensterblichkeit durch Geburten ändert sich bald hundert Jahre lang nichts – Frauenmedizin ist nicht wichtig, das ist halt die Natur, da kann man nichts machen. Freiheit und Gleichheit – die hat man nur für andere erkämpft, für die Schwestern sicher nicht.
Fassen wir noch einmal zusammen (mit Quellen):
Das 18. Jahrhundert in Westeuropa gilt als Jahrhundert der Frauen, weil Frauen:
eine wichtige Rolle in der Kultur, der Literatur, der Philosophie und der Politik spielten. Sie organisierten Salons, schrieben Briefe, die zeitgenössische Ansichten und Anekdoten festhielten, veröffentlichten Werke unterschiedlichster Art (Romane, philosophische Betrachtungen und wissenschaftliche Abhandlungen) und beeinflussten das Denken ihrer Zeitgenossen durch all diese Unternehmungen. (vgl. Goodman, Dena: The Republic of Letters: A Cultural History of the French Enlightenment. Ithaca: Cornell University Press, 1994.)
mehr Bildung und Freiheit genossen als in früheren Jahrhunderten – die Zeit der Hexenverfolgung war noch nicht so lange her (ihr fielen vor allem Frauen zum Opfer). Sie konnten sich selbstständig machen, reisen, sich fortbilden und künstlerisch ausdrücken. Was sicherlich auch immer von den Umständen abhing. Vermögen, Charme und Schönheit halfen dabei beträchtlich. (vgl. Landes, Joan B.: Women and the Public Sphere in the Age of the French Revolution. Ithaca: Cornell University Press, 1988.)
Die französische Revolution hat das gründlich geändert, indem sie:
die bestehende Gesellschaftsordnung zerstörte und eine neue schuf, die auf den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit basierte. Diese Prinzipien galten jedoch nur für die männlichen Bürger, nicht für die Frauen. Wobei festzuhalten ist, wie viele Frauen die Ideale eines Rousseaus beispielsweise erstrebenswert fanden, ohne zu ahnen, einen wie schlechten Dienst sie sich damit taten. (vgl. Hunt, Lynn: The Family Romance of the French Revolution. Berkeley: University of California Press, 1992. Madame de Pompadour und die Macht der Inszenierung, 2014)
die Frauen von der politischen Beteiligung explizit ausschloss und ihre Rolle auf die Familie und die Nation beschränkte. Die Frauen wurden als Mütter, Ehefrauen und Töchter angesehen, die den Männern untergeordnet waren. (vgl. Scott, Joan W.: Only Paradoxes to Offer: French Feminists and the Rights of Man. Cambridge: Harvard University Press, 1996.)
die Frauen von der kulturellen Szene verdrängte und ihre Werke zensierte oder sogar vernichtete. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Sie wurden als gefährlich, unvernünftig und/oder unmoralisch dargestellt, die den Fortschritt der Revolution behinderten oder bedrohten. Das blieb auch noch so, als von der Revolution schon lange keine Rede mehr war. (vgl. Darnton, Robert: The Forbidden Best-Sellers of Pre-Revolutionary France. New York: W.W. Norton & Company, 1996.)
Wie wäre es zum Schluss mit einem Zitat von Madame Roland? Die natürlich ebenfalls hingerichtet wurde – Gleichheit gibt es nur im Tod.
“ En vérité, je suis bien ennuyée d’être une femme : il me fallait une autre âme, ou un autre sexe, ou un autre siècle. Je devais naître femme spartiate ou romaine, ou du moins homme français. […] Mon esprit et mon coeur trouvent de toute part les entraves de l’opinion, les fers des préjugés, et toute ma force s’épuise à secouer vainement mes chaînes. O liberté, idole des âmes fortes, aliment des vertus, tu n’es pour moi qu’un nom !“
Ich bin wahrlich sehr verärgert, eine Frau zu sein: Ich bräuchte eine andere Seele oder ein anderes Geschlecht oder ein anderes Jahrhundert. Ich hätte als spartanische oder römische Frau geboren werden sollen oder zumindest als französischer Mann. [ ] Mein Verstand und mein Herz stoßen überall auf Hindernisse in Form von Meinungen und auf Fesseln des Vorurteils, und all meine Kraft wird vergeblich verschwendet, um meine Ketten abzuschütteln. O Freiheit, du Idol der starken Seelen, Nahrung der Tugend, du bist für mich nur ein Name!
Erinnerungen von Madame Roland – Jeanne-Marie oder Manon Philippon (1754-1793).
Vor über 220 Jahren, zweieinhalb Wochen vor ihrem 38. Geburstag, verlor Marie Antoinette ihren Kopf zum letzten Mal. Und ist damit die dritte Königin in meiner Reihe geschichtlich bedeutender Frauen, die eines gewaltsamen Todes starb. Doch während Anne Boleynund Maria Stuartals Königinnen und in einer ungefähren Privatheit starben, eingehüllt in morbide Würde und dem Bewußtsein historischer Bedeutung, wurde Marie Antoinette einer blutberauschten, feindlichen Menge vorgeführt. Doch nicht nur der Tod verbindet diese drei Frauen: Frankreich mit seiner Kultur, seiner Mode, seiner Redekunst spielte eine wichtige Rolle für jede von ihnen. Dazu wurden und werden alle drei bis heute als Schlampen, als unsittliche und egoistische Weibsbilder beschimpft und verleumdet. Im Falle Marie Antoinettes nahm diese Verleumdung ein nie gekanntes Ausmaß an; jeder Shitstorm heute ist eine sanfte Brise gegen all die Pamphlete, von denen eine ganze Industrie lebte und die ihr alleine gewidmet waren. Und noch etwas verbinden Anne Boleyn und Marie Antoinette: sie waren die beiden Frauen, von denen Wallis Simpson so fasziniert war, dass sie über sie las, was sie nur finden konnte – so schließen sich manche Kreise an unerwarteter Stelle.
Die jüngste Tochter Maria Theresias, Kaiserin Östereichs und Königin der Ungarn, starb als Witwe Capet nach Jahren des Grauens alleine und verhaßt unter dem Fallbeil der Guillotine. Nicht unbedingt das Schicksal, das königlichen Kindsbräuten vorherbestimmt war. Wie kam es dazu? War sie wirklich die grausame Bestie, die gleichgültige Hure und die das französische Volk aussaugende Ausländerin, die die Schuld an ihrem Schicksal trug? Oder war sie die heroische Gestalt, als die sie in manch royalistischem Forum gilt? Eine nur zufällig real existierende Person, die durch ihre Lebenstragödie den Liebhabern von Kitsch und Tratsch herrlich tränenumflorte Augenblicke unendlicher Romantik bietet – gleich neben einem triefnassen Mr. Darcy und einer photogeshoppten Sophie Scholl? Die Originalbarbie gar, die sich ihre Welt rosarot malte, bis sie dem wahren Leben ins Gesicht schauen musste? Oder aber eine Frau, deren Lebensweg sich kaum eine von uns wünscht und die durch ihre Persönlichkeit nicht für die Umwälzungen gemacht war, die auf die Gesellschaft des Rokoko zukam?
Maria Theresia im Kreise ihrer Familie
Am 2. November 1755 wurde in Wien wieder einmal eine kleine Erzherzogin geboren; Maria Theresia und Franz Stephan von Lothringen hatten aus Liebe geheiratet und sich diese auch über 16 Kinder hinweg erhalten. Nicht nur das war ungewöhnlich in dieser Zeit, sondern auch die klare Rollenverteilung der Familie: während Mama sich um einen großen Teil Europas kümmerte und Königsbräute und -gatten für dessen Höfe bereitstellte, besorgte Papa den Haushalt und war für Kind und Katz zuständig. Trotz der königlichen Herkunft war das Leben der Habsburger Kinderschar frei und unbeschwert: was Mama nicht erlaubte, ließ Papa doch zu. Zwar hatte die Kaiserin für all ihre Kinder einen strengen Bildungsplan entworfen, doch gelang es gerade der kleinen Maria Antonia Josepha Johanna, allzu viel Lernerei aus dem Weg zu gehen und sich mit Musik, Tanz und Theater zu amüsieren – auch dies waren Beschäftigungen, die von den Eltern gerne gesehen wurden, war doch die ganze Familie musikbesessen. So kam es auch zu der viel berichteten Anekdote, in der das Wunderkind Wolfgang Amadeus kundtat, Maria Antonia heiraten zu wollen – gar zu neckisch waren die beiden Kinder in ihrer Tändelei anzusehen; niemand ahnte, dass beiden kein langes und glückliches Leben gegönnt sein würde.
Als sie zehn Jahre alt war, starb der geliebte Vater, der für seine Kinder der Mittelpunkt der Familie war; ihre Trauer war sicher groß, doch spielten die Gefühle von Kindern keine Rolle, wenn es um Politik ging. Nachdem die Kaiserin das jahrhundertealte Motto des Hauses Habsburg „Tu, felix Austria, nube“ – „Du, glückliches Österreich, heirate“ (im Gegensatz zur gewaltsamen Gebietsübernahme anderer Häuser, so weit die Theorie) – besser umsetzte als alle ihre Vorgänger, sollte nun ihr ehrgeizigstes Projekt Realität werden: der endgültige Frieden mit dem Erbfeind Frankreich. Mit Bourbonen aller Linien waren schon viele ihrer älteren Kinder verheiratet worden, nun sollte der Hauptgewinn errungen werden: der Dauphin, Thronfolger Frankreichs. Übrig blieb Maria Antonia, die nun erst von ihrer Mutter genau betrachtet wurde. Zwar hatte auch dieses Kind sich fügen und seit frühester Kindheit ein Korsett tragen müssen, um königliche Haltung zu erlangen und zu bewahren, doch ansonsten erschien sie der Kaiserin noch seltsam kindlich und unperfekt. Maria Antonia war 11 Jahre alt, neigte zum Träumen, konzentrierte sich schlecht und selten, trällerte und tanzte den Großteil des Tages vor sich hin und galt als freundliches und munteres Mädchen, das keinerlei Interesse an hochgeistiger Literatur oder tiefsinnigen Gesprächen hatte. Da lag einiges an Arbeit vor beiden, Mutter wie Tochter. Es wurden französische Lehrmeister bestellt, die sie mit Sprache, Tanz, Kleidung und vor allem der Etikette des französischen Hofes vertraut machen sollten. Von nun an wurde jeder Schritt und jedes Wort der jungen Erzherzogin wahrgenommen und weiter getragen, sowohl zur Kaiserin wie auch zum französischen König. Kein Vater war mehr da, der mit ihr scherzte und spielte, dafür gab es Regeln, Regeln, Regeln. Sie fügte sich – oberflächlich. Und nahm doch keine der Vorschriften und Vorhaltungen ernst. Sie spielte und tändelte und sonnte sich in der Aufmerksamkeit, die bislang niemals ihr gegolten hatte. Bei einem Stall voller Geschwister und einem Weltreich als Konkurrenz kein Wunder.
Die 16jährige Marie Antoinette
Und dann kam der große Augenblick, auf den ihre Mutter hingearbeitet hatte: Ludwig XV. bat für seinen Enkel, den Dauphin, um die Hand Maria Antonias. Ihre Mutter sei ambivalent gewesen, so schimmert es durch die Quellen. Endlich hat sie ihr Ziel erreicht, doch bei einem Blick auf ihre (trotz allem) geliebte Tochter wird es ihr anders: ihre Ausbildung lässt so sehr zu wünschen übrig wie ihre Einsicht und ihr Verständnis für das, was um sie vorgeht und was es bedeuten wird, die Dauphine und eines Tages die Königin Frankreichs zu sein. Immer wieder führt sie ernste Gespräche mit diesem gutmütigen und offenem Mädchen, aber ihre Aufmerksamkeit kann sie nur selten erringen und sie zweifelt, ob ausgerechnet dieses Spielkind der Aufgabe gewachsen sein wird, Frankreich mit ihrem Mann zu regieren, der als mundfaul, unsicher und ungelenk gilt. Auch ist ihr der französische Hof mit seinen Maitressen, seiner Dekadenz und Verschwendungssucht nicht angenehm – ein größerer Gegensatz zu dem sittenstrengen und eher kargen Haushalt der Habsburger ist kaum vorstellbar. Ja, Maria Theresia macht sich große Sorgen um ihre Tochter. Doch das Ziel ist erreicht und so findet die Hochzeit zwischen den beiden Jugendlichen statt.
Unsere kleine Erzherzogin ist 14 Jahre alt, als sie am 19. April 1770 in Wien verheiratet wird. Der Bräutigam ist nicht anwesend, denn die eigentliche Hochzeit soll in Frankreich stattfinden. Ein von Frankreich entsandter Diplomat füllt den Platz des Dauphins stellvertretend aus. Noch ist sie zu Hause, noch hat ihre Mutter Zeit, ihr alles Wichtige mitzugeben – in den letzten Wochen schlafen Mutter und Tochter im gleichen Gemach und sicherlich wird Maria Theresia auch Aufklärung über das Wesen des Ehebettes gegeben haben; auch in ihren späteren Briefen an die Tochter wird sie immer wieder nachfragen, nachhaken und drängen: verschaffe dir den Thronfolger! Zwei Tage nach der Stellvertreterhochzeit verlässt Maria Antonia Österreich für immer und macht sich auf den Weg in ihre Zukunft. Doch vor der Ankunft in Paris steht noch ein mittelalterlicher Brauch, der ihr nicht erspart wird, trotzdem wir uns im Zeitalter der Aufklärung befinden. Die Franzosen schätzen ihre ausländischen Bräute nicht besonders und wünschen entweder eine möglichst rasche Anpassung oder aber eine Königin, die in ihrer Seltsamkeit zurückgezogen und unsichtbar im Palast lebt. Die beiden letzten Königinnen, aus Spanien und Polen stammend, wurden von niemandem beachtet und konnten sich so in Ruhe ihren Stoßgebeten, Stickereien und Schokoladen widmen; politisch und gesellschaftlich spielten sie keine Rolle und das wurde auch nicht von ihnen erwartet. Für den Glanz den Hofes, seine Mode und seinen Esprit war die Maîtresse en tître, die offizielle Geliebte des Königs, zuständig. Madame de Montespan für Louis XIV. und Madame de Pompadour für Louis XV. waren die perfekte Besetzung für dieses Amt. Und hier dürfen wir einmal spekulieren, wie Antonias Leben verlaufen wäre, hätte sie noch Madame de Pompadour treffen dürfen anstatt ihrer Nachfolgerin Madame Dubarry. Aber das führt uns heute doch zu weit (wobei, ich muss das jetzt sagen: hätte ich jemanden treffen dürfen aus der Geschichte, es wäre Jeanne-Antoinette Poisson gewesen).
Nun, Maria Antonia sollte und musste zu Marie Antoinette werden und nichts österreichisches sollte an ihr verbleiben und das war ernst gemeint. Am 7. Mai trifft sie mitsamt ihrem Gefolge auf einer unbewohnten Rheininsel vor Straßburg ein, wo sie dem französischen Volke übergeben wird. Dem voraus gingen unendliche Streitereien zwischen den Diplomaten beider Länder – statt eines Bündnisses fand hier ein Wettbewerb statt um Einfluß, Rechthaberei und Vormachtstellung. Es wurde ein Pavillon errichtet mit drei Räumen. In den ersten trat Maria Antonia als Österreicherin, die sich dort all ihrer Kleidung und all ihrer Gefährten entledigen musste. In den zweiten Raum kam sie als Braut, die um die Aufnahme in Frankreich bittet. Eine Vierzehnjährige, die beim Abschied von ihrer Mutter bitterlich weinte und nun nackt und bloß vor fremden Menschen stand, die ihr diese Prozedur um ihrer eigenen Wichtigkeit wegen zumuteten. Schnell wurde sie in das dritte Räumchen geführt, in dem sie mit den prachtvollsten Kleidern und Preziosen ausgestattet wurde, die Frankreich zu bieten hatte – ein komplettes Makeover sozusagen, das aus ihr Marie Antoinette, Dauphine von Frankreich, machte. Das ist Stoff, aus dem Märchen gemacht werden.
Marie Antoinette und Louis Auguste – Liebe kann warten
Die Reise ging über Straßburg nach Paris, es gab Feste über Feste und schon leicht erschöpft traf Marie Antoinette auf den König und den Dauphin. Während Ludwig XV. strahlend auf sie zueilte, sie herzte und drückte, mit ihr lachte und scherzte (wobei der Hof bemerkte, dass der Frauenheld ihre Reize durchaus mehr zu schätzen wußte, als es ihm als ihrem „lieben Großvater“ zugekommen wäre), stand der Dauphin mißmutig daneben und reichte ihr nur widerwillig Hand und Wange zu Gruß und Kuß. Schwerfällig, mit hängenden Schultern und schweigend war er der Einzige, der in diese tagelangen Festlichkeiten nicht passte. Von Feier zu Feier wurden die beiden geschleppt, jubelnde Menschenmassen allerortens. Marie Antoinette war überwältigt, erfreut, müde. Ihre Frische, ihre Schönheit, ihre Jugend, ihre entzückende Art, sich überschwenglich zu freuen, wurden gelobt; Millionen Franzosen hätten sich heute in sie verliebt, so bekommt sie von einem Mitglied des Hofes zu hören. Mit ihrem Mann, den sie am 14. Mai offiziell heiratet, hatte sie kaum eine Sekunde alleine. Aber sie wird das kaum bemerkt haben, zu aufregend ist alles um sie herum. Sie mag in diesen ersten Tagen das Gefühl gehabt haben, endlich angekommen zu sein: diese ständige Musik, die Schauspiele, die opulenten Feste: sie sind, was sie in Wien vermisste, ohne es zu kennen. Tändeln, Tanzen und Spielen den ganzen Tag lang. Doch zum Ende der Feierlichkeiten am 30. Mai fällt ein erster Schatten auf ihr neues Leben: während eines Feuerwerkes bricht eine Massenpanik aus und über hundert Menschen sterben, hunderte werden verletzt. Einige Jahre später wird man die Königin auch hierfür verantwortlich machen.
Versailles, das Schloß, seine Gärten und Parks sind Pracht, Perfektion und Pomp. Sein Hof ist frivol, bigott, geistreich: ein Bonmot zählt mehr als Freundschaft, Affären sind prickelnder Zeitvertreib und Spiel mit dem Feuer – manchmal treffen Hohn und Spott die Betrügenden, machmal den Betrogenen und zerstören Karriere und Fortkommen. Doch was an der Oberfläche spielerisch, unmoralisch erscheint, ist durch ungeschriebene Gesetze streng geregelt; was dem einen recht ist, ist dem anderen noch lange nicht billig. Ein jedes Mitglied dieser Gesellschaft bewegt sich auf seinen unsichtbaren Gleisen, erscheint, wo es zu erscheinen hat, sagt und spricht das zu Erwartende. Alles, wirklich alles, ist geregelt: wer wem den Vortritt lässt, welcher Spaziergang zu welcher Zeit stattfindet, wer wen grüßt und was es bedeutet, wenn das Schönheitspflästerchen links statt rechts getragen wird. Klatsch und Tratsch, Eifersucht und Mißgunst gedeihen unter dem Firnis geschliffener Rhetorik und immer ausgefallenerer Modeexzesse.
Und in dieser Umgebung findet sich die Dauphine Marie Antoinette wieder – die kleine Erzherzogin, die längst all die Ratschläge ihrer Frau Mama vergessen hat und wenig Einsicht in die Handlungsweisen der französischen Aristokratie hat. Die Tafel, an der sie jeden Tag vor Publikum zum Essen Platz nimmt, versammelt keine miteinander schwatzende und liebende Familie. Der Dauphin spricht kaum ein Wort – sowohl die Unmengen an Essen, die er in sich hinein schaufelt, als auch seine Schüchternheit verhindern das. Der König bemüht sich um das junge Mädchen, lässt wohl auch einmal anzügliche Bemerkungen fallen, die seiner Maitresse Gräfin Dubarry gelten.
Madame Dubarry
Die Dubarry ist fröhlich, wenig zurückhaltend und nimmt ihre Aufgabe, Ludwig XV zu unterhalten, sehr ernst. Marie Antoinette ist in ihrer Unschuld reizend und sorgt für verlegenes Gelächter, als sie erklärt, sie wolle der Madame Dubarry Konkurrenz sein und ihren lieben Großpapa eben so gut unterhalten. Ihre Tanten, die unverheirateten Töchter des Königs mit der Sorge, zu wenig be- und geachtet zu werden und einem Haß auf die Dubarry, nehmen die Dauphine gar selbstlos zur Seite und klären sie über die Natur der königlichen Unterhaltung auf. Marie Antoinette ist rechtschaffen empört; eine solch liederliche Frauensperson wäre in der Hofburg undenkbar, unmöglich könne sie Umgang mit ihr haben und so schneidet sie die Dubarry. Die Tanten freuen sich und feuern das junge Mädchen weiter an. Die Dubarry, die tagtäglich gegen die Arroganz der Höflinge ankämpft und ihren Platz sichern will, darf die Dauphine von sich aus nicht ansprechen – mit steigendem Amusement betrachtet der Hof das tägliche Schauspiel einer um Anerkennung bemühten Maitresse und einer zu jungen, zu naiven Prinzessin, die nicht bemerkt, wen sie in Wahrheit brüskiert und verärgert: den König, der ein solches Benehmen nicht duldet, jedoch von der Dauphine ignoriert wird. Der Hof jubelt.
Marie Antoinette, Dauphine de France
Doch auch Maria Theresia in Wien erfährt durch ihren Botschafter, den treuen Mercy-Argenteau, von dem bald zwei Jahre anhaltendem wortlosen Streit. Es dürfte der Kaiserin nicht leicht gefallen sein, dem politischem Nutzen vor ihrer Moral den Vortritt zu geben und von ihrer Tochter zu verlangen, die Sittenstrenge beiseite zu lassen und der Dubarry endlich den größten Wunsch zu erfüllen – ein freundliches Wort der Dauphine in aller Öffentlichkeit. Ein, zweimal glaubten sich König und Maitresse schon am Ziel; heute würde die Dauphine der Dubarry die Ehre erweisen, doch Antoinettes Stolz und die Tanten sorgten für Enttäuschung. Endlich muss Marie Antoinette klein beigeben. Unter den gierigen Augen der anwesenden Aristokraten bleibt sie bei der in die Knie sinkenden Gräfin stehen und spricht die Worte, die auch heute noch manch Besucher des Schloßes zitiert: es seien viele Leute heute in Versailles. Sehr deutlich hören die Umstehenden die Überzeugung der Dauphine heraus, es sei wenigstens eine zuviel, doch die Dubarry hat ihr Ziel erreicht.
Marie Antoinette spricht nie wieder mit der Gräfin und vielleicht hat sie nie begriffen, wie viel Schaden dieser kindische Streit angerichtet hat: der König ist ihr gegenüber kühler, die Tanten ob ihres Umfallens entrüstet und erbost und der Hof ist sich einig, dass die Dauphine keine Französin ist und niemals sein wird; so amüsiert sie sind, so sehr empören sie sich über Marie Antoinettes Unwissenheit und nicht-regelkonformes Verhalten.
Hätte sie es besser wissen können und müssen? Man hatte ihr Madame Noailles zur Seite gestellt, die streng über das Benehmen der Dauphine wachte, ihr Chaperone, Gesellschafsdame und Lehrerin zugleich sein sollte. Ein ältliches Fräulein Rottenmeier ist sie, von der Dauphine spöttisch Madame l’etiquette benannt. Antoinette fühlt sich von Madame Noailles gegängelt wie von all ihren bisherigen Lehrmeistern und macht sich einen Spaß daraus, ihr zu entkommen, sie zu parodieren und weg zu hören, wenn sie ihr die Gesetze des Hofes erklärt. War sie denn noch immer ein Schulmädchen oder die zukünftige Königin? Sollte sie ihr Leben und ihre Stellung nicht geniessen? Ein Leben, in dem ihr wohl nahezu alle Wünsche an Kleidung, Nahrung und Unterhaltung erfüllt werden, jedoch kein Schritt unbeobachtet bleibt. Was immer sie tut, eine Schar Höflinge ist um sie herum, immer auf der Lauer nach einem Posten, einer Anekdote, einer unbedachten Äußerung. Antoinette fühlt sich eingeschränkt und zeigt im Laufe der Jahre ihre Verachtung für sinnentleertes Protokoll überdeutlich. Ihre Jugend, ihr offenes Wesen und ihr anfangs uneingeschränktes Vertrauen in die Menschen, die ihr nahe stehen und die Wiener Heimat ersetzen sollen, führen dazu, dass sie in Intrigen und Ränkespiele hinein gezogen wird, die sie nicht durchschaut. Ihre Sehnsucht nach Freundschaft lässt sie Zuwendung mit Zuneigung verwechseln; die meisten, die sich ihr nähern, kommen mit selbstsüchtigen Wünschen, die sie freudig gewährt.
Princesse de Lamballe
Antoinette begann ihren Alltag mit Vergnügungen zu füllen: von den intriganten Tanten hatte sie sich abgewandt, die ihren Lebenswandel mit Abscheu betrachteten und das ihrige zu Antoinettes Verleumdung beitrugen. Mit ihrer neu gewonnen Freundin Marie Louise de Savignon-Carignan, der Princesse de Lamballe, besucht sie in schlecht getarntem Incognito Bälle in Paris, verspielt Unsummen beim Pharo, engagiert die Kleidermacherin Rose Bertin für immer ausgefallenere Kreationen, amüsiert sich mit ihrem vergnügungssüchtigen Schwager und verlacht all die steifen und alten Hofchargen um sich herum. Bis heute wird ihr Charakter nach diesem Verhalten gewertet – von einem pubertierenden Teenie, der über Nacht zu Reichtum und Ruhm gelangt, kann man wirklich mehr erwarten als Albernheiten und Überschwang! Immerhin ist sie die nächste Königin Frankreichs, dazu Ehefrau und hoffentlich bald Mutter. Zu irgendetwas muss diese Ausländerin doch gut sein!
Marie Antoinette in ihrem Salon
Am 10. Mai 1774 starb der einstmals vielgeliebte Louis XV. Aus dem Thronfolgerpaar, 19- und 20jährig, wurden König und Königin. Während das Volk enthusiastisch auf Veränderung hoffte und große Erwartungen an das Paar hatte, war den beiden angst und bange – zu jung seien sie, so habe Antoinette unter Tränen beteuert und Gott um Hilfe angefleht, berichten verschiedene Augenzeugen. Es dauert nicht lange, bis sie den nächsten Fehler begeht und neue Feinde findet: getreu ihrer Aufgabe als Friedensstifterin zwischen Frankreich und Österreich sorgt sie für die Entlassung österreichfeindlicher Regierungsberater. Nicht nur die Tanten nennen sie nun „l’Autrichienne“ – die Österreicherin. Oder „die andere Hündin“, ändert man Schreibweise und Aussprache minimal. Längst ist die Königin an dem Punkt, an dem sie tun und lassen kann, was sie will – immer findet sich jemand, der ihr deswegen gram und feind sein wird. Immer mehr Geschichten und Gerüchte verbreiten sich, auf Wahrheit gründend oder auf Vermutung, zu Lüge und Hetze entstellt.
Dauphin Louis Auguste
Vom Gatten erhält sie ein Schlößchen, das Petit Trianon, ein wenig entfernt vom Versailler Palast, um sich dort von Kontrolle und Eitkette zu erholen. Geladen sind nur diejenigen unter den Höflingen, die jung, munter und freundschaftlich mit ihr stehen – sie sieht sich als junge Frau, die ein wenig Zeit mit Freunden verbringt; die nicht Geladenen jedoch sehen die Königin, die beleidigt und demütigt – in ihren Augen ist das Petit Trianon schlimmer als Sodom und Gomorra. Und das Volk, das in immer schlimmeren Verhältnissen existiert, erfährt von unnötiger Verschwendungssucht und ausschweifenden Orgien der Blutsaugerin durch Bildtafeln, die an Deutlichkeit nicht zu mißdeuten sind. Wann endlich ändert sich etwas? Wo bleibt die Hoffnung, die noch an königliche Nachkommenschaft geknüpft ist? Wo bleibt der nächste Dauphin, so fragt auch die Kaiserin aus Wien immer dringlicher.
Aber es tat sich nichts. Buchstäblich nichts. Nicht nur, dass Antoinette nicht schwanger wurde, nein, sie war nach Jahren der Ehe noch so unschuldig wie bei ihrer Ankunft. Ludwig, der muffig-schweigsame, etwas plumpe und gehemmte junge Mann, fühlte sich in der Gegenwart seiner Gattin noch gehemmter und unsicherer; die Tändeleien und Spötteleien ihres Freundeskreises fielen ihm auf die Nerven und das tägliche öffentlich zu Bett gelegt werden, half der Beziehung auch nicht weiter. Die Schuld für die nichtvollzogene Ehe, das Ausbleiben des Thronfolgers gab man, wie könnte es anders sein, Marie Antoinette. Was könnte einem nur mäßig aufgeklärten Backfisch leichter fallen, als den phlegmatischen Gatten zu leidenschaftlichen Turnübungen zu verführen?
Einer der harmlosen Stiche
So langsam kam eine Industrie in Schwung, die bislang nur vor sich hindümpelte: Pamphlete und Hetzschriften, in denen Antoinette als Ehebrecherin, schlampige Gattin und nicht nur den Mann, sondern das Volk betrügende Ausländerin dargestellt wurde, machten die Runde. Es waren vor allem die Höflinge, die diese Schriften in Auftrag gaben oder auch selbst schufen; nicht zuletzt die Brüder Ludwigs ließen ihrem Witz, ihrem Neid und Ehrgeiz freien Lauf – nicht ahnend, wem das Verhetzen eines hungernden Volkes nutzt. Den Auftraggebern nicht, das würden sie noch begreifen. Ein besonderes Vergnügen bereitete es manchen, diese Blätter in Antoinettes Nähe zu platzieren, so dass die junge Frau mit pornografischen Darstellungen ihrer selbst konfrontiert wurde. Dazu die ständigen Briefe ihrer Mutter, die mittlerweile ihrer Tochter explizite Anweisungen sandte, wie sie den Gatten in Hitze bringen könne. Antoinette ließ die Schreiben äußerlich gleichgültig zu Boden gleiten und kümmerte sich um ihr Vergnügen, das alles Unangenehme überdecken sollte. Wäre Ludwig nur etwas weniger feige und etwas interessierter gewesen: eine Vorhautverengung sorgte für Schmerz, sobald er an eheliche Pflichten nur dachte und eine kleine Operation, ein winziger Schnitt, war die Lösung. An die er sich nicht wagte. Bis sieben Jahre nach der Hochzeit sein Schwager Joseph, Kaiser von Österreich, ihn beiseite nahm und ihm ins Gewissen sprach – als König von Frankreich müsse er seine Pflicht Gattin und Vaterland gegenüber erfüllen. Ludwig wagte es und Marie Antoinette erfurh, um was es in den Pamphleten ging. Dass die Tanten vom Neffen zu hören bekamen, das körperliche Vergnügen sei noch größer als gedacht und er bedauere, so lange gezögert zu haben – das mag uns zum Schmunzeln bringen, erhöhte deren Hass auf die Königin jedoch. Wo immer Antoinette erschien, irgendwer hatte einen Groll gegen sie.
Am 18. Dezember 1778 bringt Marie Antoinette ihr erstes Kind, Marie-Thérèse, Madame Royale, zur Welt. Allein die Berichte über diese Geburt sind ein solcher Horror, dass ich bereit bin, ihr fast alles nachzusehen: Kaum setzen die Wehen ein, scharen sich etwa 50 Höflinge um ihr Bett, das in einem nicht zu großen Raum steht, dessen Fenster geschlossen sind. Es ist eine lange und schwere Geburt, die vielen Menschen nehmen ihr wortwörtlich die Luft zum Atmen. Immer stickiger und heißer wird es und als das Kind endlich geboren ist, verliert die Königin das Bewußtsein mit dem Ausspruch, sie sterbe. Blut entfließt ihrem Mund, der Arzt fordert Platz, Luft und einen Aderlaß. Ludwig erweist sich jetzt nicht nur als treusorgender Gatte, sondern als zupackend wie nie zuvor oder je wieder danach: er stößt jeden beiseite, der zwischen ihm und den Fenstern steht, um dort festzustellen, dass diese sich nicht mehr öffnen lassen – seit Jahrzehnten waren sie nicht genutzt worden. Ohne lange zu zögern, zertrümmert er die Fenster und lässt die Dienerschaft die gesamte Bagage grob aus dem Raum werfen. Von nun an muss die Königin nicht mehr unter Zeugen gebären, als wäre sie die Attraktion eines Wanderzirkus.
Mit Schwägern und Kindern
Noch drei weitere Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, brachte Antoinette zur Welt, doch Madame Royale sollte die einzige sein, die das Erwachsenenalter erreichte. Der Dauphin starb im Juni 1789, was sicherlich auch ein Grund ist, weshalb die vom Volk entfernte Königin von den sich abzeichnenden Ereignissen nichts mitbekam. Ein Fakt, der erstaunlich selten betrachtet wird. Das zuletzt geborene Mädchen starb schon 1787 mit elf Monaten. Für Antoinette, die mit vielen einander zugetanen Geschwistern groß geworden war, müssen diese Todesfälle unendlich schmerzhaft gewesen sein.
Die leere Wiege der verstorbenen Tochter …
Marie Antoinette als Mutter zeigte sich anders als die junge Königin: ständige Bälle, Glücks- und Kartenspiel, ihre Theateraufführungen und heimlichen Ausflüge waren Vergangenheit; mit viel Liebe wandte sie sich ihren Kindern zu. Auch die immer größeren Roben und Kopfaufbauten waren vergessen. Sie bemühte sich um einen schlichteren Lebensstil. Aber wie könnte es anders sein: auch das war nicht recht. Waren ihre Ausgaben vorher zu hoch, so warf man ihr nun vor, Schäferin zu spielen und im Hemd herumzulaufen, was einer Königin von Frankreich nicht angemessen sei – nun wolle sie auch noch die Seidenweber und Modistinnen in den Hungertod treiben. Irgendetwas ist ja immer, immer ist etwas. Hass und Hetze brodelten nur selten unterbrochen weiter hoch.
Sozusagen ein Make over. Vorher …… und nachher
Lasst mich bitte einschieben: über Marie Antoinette einen kurzen Abriss schreiben zu wollen, ist nahezu unmöglich – mir ja sowieso. Zum einen kann man ihr nicht gerecht werden und zum anderen ist ihre Zeit, ihre Umgebung unglaublich gut dokumentiert. Der Adel schrieb und schrieb und schrieb und Privatheit gönnte man ihr nicht – und die Geschichten und Geschichtchen über sie gehen in die Tausende. Jede einzelne ist ein Baustein, ein Zahnrädchen in dem vorwärts treibenden Uhrwerk, das ihre verrinnende Zeit tickend begleitet. Immer wieder frage ich mich beim erneuten Sichten dieser Erzählungen, ob ihr Leben anders verlaufen wäre, hätte sie hier anders entschieden, diesem Menschen nicht vertraut oder jenes Wort verschwiegen. Doch am Ende sind es nicht die von ihr gesagten Worte und begangenen Taten, es ist das durch Hass und Gier erbaute Lügengeflecht, das sie zu Fall bringen wird. Was Hetze, üble Nachrede und Lügen anrichten können: hier sehen wir es klar und deutlich.
Es ist ungerecht: seit Jahrhunderten hatte Frankreich endlich ein Königspaar, das mit den besten Absichen antrat, das die verhasste Maitressenwirtschaft (denn bislang waren die oft hochgebildeten und den jeweiligen König positiv beeinflußenden Geliebten die Sündenböcke für alles gewesen) abschaffte und neuen Ideen im Rahmen ihrer gottgegebenen Größe offen gegenüber stand. Ein Sonnenkönig hätte viel früher, viel härter eingegriffen, um jedes noch so gerechtfertigte Murren zum Schweigen zu bringen.
Unter all diesen Geschichten finden sich
die berühmte Halsbandaffäre, die wie Pech an ihr klebte und ihr neue Feinde brachte.
Die adoptierten Kinder, für die sie sorgte – der Wunsch nach Kindern und Familie war groß und treibend.
Ihre immer wieder unternommenen Ausflüge in die Politik, vor allem, wenn es um die Beziehungen zu Österreich ging.
Natürlich wurde auch ihr, wie bald allen Königinnen und Maitressen vor ihr, unterstellt, sie habe den Armen das Kuchen essen empfohlen, so sie kein Brot hätten.
Die Freundinnen: nach der Princesse de Lamballe, die eine reiche, sehr zurückhaltende Frau von sanftem Wesen war, trat Gabrielle de Polignac auf den Plan, die an sich raffte, was sie nur erhalten konnte und ihrer Familie Posten zu verschaffen wußte – beide wurden in den nicht versiegenden Hetzschriften als lesbische Geliebte der verderbten Königin gehandelt.
Hans Axel von Fersen
Und zu guter Letzt ist da Axel von Fersen, ein schwedischer Aristokrat mit deutsch-baltischen Wurzeln. Er war – was sonst – gut aussehend, charmant und geistreich. Aber wer ihn näher kannte, beschrieb ihn auch als selbstverliebt, arrogant, schwermütig und als gefühlskalten Schürzenjäger. Zwar schrieben sich von Fersen und Antoinette leidenschaftliche Liebesbriefe und verbrachten gerne Zeit miteinander, doch ist eine echte Beziehung, eine Affäre unwahrscheinlich – wir wissen es ja schon: Privatheit gab es für die Königin kaum. Vieles spricht für eine Beziehung, die bewußt platonisch und eher Minne als Liebe war.
Um die Königin herum vibrierte es vor Erotik, Klatsch und Tratsch und sie war mit einem Mann verheiratet, der am glücklichsten in seiner Schlosserwerkstatt und bei der Jagd war. Der ihr treu und freundlich zugetan, aber eben weder ein Adonis noch ein Casanova war. Axel von Fersen mag ihre Phantasie angeregt haben, es mag geprickelt haben – für die Traumtänzerin, die sie noch immer war, wahrscheinlich ausreichend. Von Fersen hingegen scheint sich vor allem in der Aufmerksamkeit einer Königin gesonnt zu haben; abwechselnd sprach er Freunden gegenüber entweder schmachtend von „der einzigen Frau, die ich liebe, aber nicht besitzen kann“ oder aber er gab zu verstehen, dass er die Zuneigung der Königin großzügig erdulde. Was immer er empfand, es hielt ihn nicht von Beziehungen zu anderen Frauen ab.
Über all dem, den Geburten und den Todesfällen, den Skandalen, Mißverständnissen und Affären, den wechselnden Moden und Marotten, verging die Zeit und das Volk hungerte. Nur um den nachbarlichen Erbfeind auf der Insel zu ärgern, entsandte Frankreich den Amerikanern eine Armee, die sie in ihren Bestrebungen nach Unabhängigkeit von der englischen Krone unterstützte. Mit den zurück kehrenden Soldaten kamen neue Ideen von Freiheit und Gleichheit ins Land, mit denen der Adel kokettierte, Bürgertum und dritter Stand aber arbeiteten …
Nun ja, das kann natürlich nur Einer sein: Ludwig oder auch Louis, wie er im damaligen Bonn oft genannt wurde, von Beethoven. Über ihn kann man mit Leichtigkeit so ziemlich alles finden, was interessiert. Was mich aber interessiert, ist seine Rolle in Luises Geschichte.
Zunächst einmal ist es für ein absoluter Glücksfall, dass er in Bonn geboren und aufgewachsen ist und bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahr hier lebte. Auch, dass er sich immer zurücksehnte an die Stadt am Rhein, freut mich. Nicht nur als nachgeborene Mitbürgerin, sondern weil er es mir so recht leicht macht, mich so weit in ihn hineinzufühlen, dass er als Nebenfigur durch meinen Roman huschen darf. Viel großartiger aber ist, dass seine spätere Berühmtheit dafür sorgt, dass ich vieles über meine Stadt um 1790 herausfinden kann – einfach, weil man Beethovens Leben hier und die ihn prägenden Einflüsse oft erforscht und niedergeschrieben hat.
Da wären seine Arbeit als Hoforganist und die Bewunderung, die er beim Kurfürsten durch sein Talent erregt hat. Dadurch sind auch das Bönnische Nationaltheater und das Opernspiel am Hofe zumindest so weit dokumentiert, dass ich mich an einigen Fakten entlanghangeln und doch meine Fantasie laufen lassen kann. Dann sein Familienleben, das Aufschluss gibt über die Verhältnisse der Zeit, die Kosten des Unterhalts und die Art, wie gewohnt wurde. Dass es mit dem Tode seiner Mutter schwierig wurde mit dem alkoholkranken Vater, der kaum noch in der Lage war, seine eigene Stellung in der Hofkapelle zu erhalten, verschafft mir Einblicke in das Zusammenleben der Stände – Louis nämlich fand enge Freunde und eine zweite Mutter in der Familie Helene von Breunings. Dass sich Adlige und Bürgerliche in Zirkeln, Vereinen und Klubs zusammenfanden, dass man zusammen aß, trank und tanzte und in denselben Gasthäusern verkehrte (vornehmlich in Zehrgarten der Witwe Koch, deren Tochter Babette als Ideal der Demoisell von Schönheit und Bildung galt) – nun, das war nicht überall selbstverständlich und womöglich hätte ich das nur schwerlich herausgefunden, hätte es Beethoven nicht gegeben.
Muss er deshalb aber in meinem Roman als der oft schlecht gelaunte junge Mann auftreten, der er war? Spielt er eine bedeutende Rolle, dreht sich die Geschichte denn auch um seine Jugendjahre? Beabsichtigt war das gar nicht; er ist nicht der Aufhänger der Geschichte und auch nicht ihr Mittelpunkt. So wenig übrigens wie Marie Antoinette oder Max Franz Hauptrollen erhalten. Aber diese drei Personen herauszuhalten, wäre nicht gegangen. Luise als Schauspielerin und Sängerin des wieder eröffneten Schlosstheaters hätte sich schon sehr anstrengen müssen, nicht mit Louis in einem Raum zusammen zu treffen. Auch ihre Stellung als Tochter eines angesehenen Kaufmanns und Mitbegründer des heute noch existierenden Lese-Vereins bringt sie in Verbindung mit demselben Freundeskreis des Musikgenies. Sie ist befreundet mit jener Babette und auch mit Lorchen von Breuning, in der man oft Beethovens große Liebe vermutet. Auch Amalie von Mastiaux ist eine Freundin – die jungen Frauen sind im selben Alter, haben dieselben Interessen und haben allesamt Beziehung zum Hof, der das Leben in der Residenzstadt prägt. Selbstverständlich gehört sie zu den Demoisellen, die die Aufmerksamkeit Beethovens erregt haben – verliebt war er wohl recht oft, sein Talent aber als romantischer Liebhaber war offenbar begrenzt.
Was ihn als Nebenfigur noch interessanter macht. Er wird also immer wieder einmal einen Streit vom Zaun brechen, das Publikum verzaubern oder auch loben, ermutigen und lachen. Es war eine aufregende Zeit voller Debatten, musikalischen Abenden und literarischen Zirkeln und zu all dem hatte Beethoven Zugang, weil in Bonn der Gedanke von Gleichheit und Gerechtigkeit schon vor der Französischen Revolution Fuß gefasst hatte, denn in einer räumlich engen Stadt ließ sich anderes kaum durchsetzen. Diese Atmosphäre möchte ich gerne einfangen und ohne den berühmtesten Sohn Bonns wäre das nicht machbar.
Die erste Liebe ist immer ein Abenteuer. Erst recht in Zeiten der Revolution.
Im Frühjahr 1789 trifft Philippe de Beretton in Bonn ein. Charmant, leichtsinnig, etwas oberflächlich gibt er sich, um zu verbergen, dass er im Auftrag der französischen Königin Marie Antoinette unterwegs ist. Mit allem rechnet er. Nicht damit, sich zu verlieben.
Auch Luise hat anderes im Sinn als die Liebe. Die Tochter eines reichen Kaufmanns steht als Schauspielerin auf der Hofbühne, feiert Erfolge und ist nicht bereit, sich mit einem französischen Chevalier einzulassen. Auch wenn sie Tag für Tag an seine dunklen Augen denkt.
Während in Bonn Bürgerschaft und Adel gemeinsam feiern, tanzen und lachen, fällt in Paris die Bastille. Philippe bleibt nichts anderes übrig, als in die Heimat aufzubrechen. Aus heiterem Rokokospiel wird blutiger Ernst …
Für den ersten Band von Luise & Philippe habe ich ein Vorwort geschrieben, das ich – mehr oder weniger identisch – auch hier poste. Weil es mir echt auf der Seele brennt.
Nun, in diesem Roman und auch den Folgebänden sind die meisten Nebenrollen von echten Persönlichkeiten - oft sogar sehr prominenten - besetzt. Ob es Luises guter Kamerad Ludwig van Beethoven ist, die Königin von Frankreich oder all diejenigen, die weniger bekannt sind: Sie alle haben Leben geführt, die einen eigenen Roman wert wären. Dennoch sind sie Nebenfiguren und so schwer es mir mitunter fiel, sie haben daher nur wenig Platz erhalten, um zu leuchten und zu glänzen. Was mich nicht gehindert hat, so viel wie möglich über sie herauszufinden.
Was wiederum oft nur wenig war. Am meisten ist vermutlich über die Familie von Breuning bekannt und manches über Babette Koch, doch selbst ist das ist erstaunlich wenig; vieles ist nur angedeutet und reizt mich sehr, eine Geschichte für jede einzelne Person zu entwickeln, die mir so begegnet ist. So weiß ich beispielsweise von Amalie von Mastiaux, wen sie geheiratet hat, doch nicht wann das geschehen ist; dafür kommen zwei oder drei Jahre infrage. Ich weiß auch, dass es keine glückliche Ehe war und es gibt in einer (in tagelanger Suche und mit einem Genealogieseiten-Abo, das ich nun kaum wieder loswerde, gefundenen) Familienerinnerung ein, zwei Sätze, hinter denen sich ein möglicher Grund verbergen könnte. Ich habe mir daher bei ihr so wie auch bei anderen, von denen ähnlich wenig bekannt ist, die Freiheit genommen, anhand dieser kurzen Begebenheiten oder Aussprüche eine dazu passende Figur zu gestalten, die eben doch weitgehend fiktiv ist.
Aber wenn ich dank meiner Recherchen von der Tochter des französischen Gesandten, der kleinen Juliette, weiß, zu welcher Frau sie heranwuchs, dann lag es nah, diese Anlagen auch im Mädchen schon sichtbar zu machen. Und wenn schon die Zeitgenossen über die Ähnlichkeit des Bonner Kurfürsten mit seinem Schwager, dem französischen König, redeten, dann lasse ich auch meinen Helden seine Ideen dazu formulieren, nachdem ich mich freute, dass mein eigener Eindruck durch diese Funde bestätigt wurde (die Autorin klopfte sich begeistert auf die Schulter, brachte sich damit ins Stolpern und stürzte kopfüber ins Eigenlob – nass und klebrig).
Wo es darum geht, Stimmungen, Meinungen und Ideen wiederzugeben, die diese Zeit bewegt haben, dann beruhen meine Schilderungen und Dialoge auf dem, was in Briefen und Memoiren festgehalten wurde. Alles, was meine Figuren zu Politik und Literatur sagen, wie sie Freundschaft sehen, was sie am Leibe tragen und wie sie wohnen, haben vor über zweihundert Jahren andere Menschen erlebt. Vor diesem Hintergrund dürfen Luise und Philippe agieren, ganz als Geschöpfe ihrer Zeit und ihrer Umgebung.
Ups, der Titel verspricht vielleicht etwas viel; mehr auf jeden Fall, als ich in einem schnellen Beitrag liefern kann. Trotzdem möchte ich darüber sprechen, weil mir in den letzten Tagen – im Gespräch mit Freundinnen, Bekannten und Leserinnen – wieder einmal auffiel, was mir schon öfter begegnet ist. Dass wir nämlich
im Schnitt gar nicht sonderlich viel von der Zeit zwischen 1700 und 1799 wissen,
sie somit als eine Zeit des Unfriedens (Französische Revolution!) und der Ungerechtigkeit begreifen
und sowieso dazu neigen, gerade unsere eigene Geschichte also die Geschichte der Frauen, die noch immer zu wenig Beachtung erhält als eine Art gleichmäßig aufsteigende Linie betrachten, die irgend wie so verläuft: Sklavin Hexe Heiratshandelsgut Hausfrau und Mutter emanzipierte Frau heute.
Das ist natürlich scheußlich verallgemeinert und ganz bestimmt liest das jetzt nicht nur eine kluge Frau, die sagen kann: Mich meint sie damit nicht! Tue ich auch nicht. Aber ich habe mich nun während der letzten drei Wochen – und das ist nicht übertrieben, meine Augenringe beweisen es – Tag und Nacht mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert befasst und mich dabei auf Kurköln und Frankreich konzentriert ebenso wie auch die Rolle der Frau an diesen Orten.
Und dabei fiel mir auf, wie oft zwischen den Zeilen der weniger guten Artikeln ein Bild entsteht, dass dieses Jahrhundert als unglaublich weit fort von uns zeichnet. Oder einmal anders herum beschrieben: Wie häufig liest man von den Suffragetten als den ersten Frauenrechtlerinnen? Oder vom 20. Jahrhundert als dem Jahrhundert der Frauen? Obwohl ein ziemlich großer Teil der darin enthaltenen Jahrzehnte, obwohl sie uns so nahe sind, alles andere als gut für uns waren? Was die 1920er möglich machten, ist danach erst einmal zurückgeführt worden und dann brauchte es bis in die Sechziger und Siebziger, um ein ähnlich hohes und selbst bestimmtes Ansehen in der Öffentlichkeit zu erreichen. (Und vielleicht wäre jetzt ein guter Moment, um einzufügen, dass die Verbesserungen meist nur einen Teil der Frauen erreicht hat – nämlich diejenigen, die schon unter besseren Bedingungen ins Leben gestartet sind, ob es nun Vermögen, Familie, Hautfarbe oder Neigungen sind).
Um einen Namen wie Olympe de Gouges zu kennen oder Manon Roland, um etwas von Mary Wollstonecraft gelesen zu haben oder auch nur von Sophie von La Roche – nun, dafür muss man sich schon sehr entweder mit der Historie der weiblichen Emanzipation befasst haben. Oder, im letzten Fall, mit der deutschen Literaturgeschichte. Malerinnen, Musikerinnen, Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen, Politikerinnen und Salondamen: Wenn da mal der eine oder andere Name fällt, kann man schon froh sein, und da ist es vielleicht kein Wunder, dass wir meinen, eine Häufung weiblicher prominenter Personen, je näher wir an unsere Moderne rücken, zeige auch die Zunahme weiblicher Teilhabe an der Gesellschaft.
Jein. Wenn ich in einer früheren Zeit hätte leben müssen, dann würde ich das 18. Jahrhundert gewählt haben und ich hätte wahrhaftig auch Bonn gewählt. Für viele Wissenschaftlerinnen, die sich mit diesem Zeitraum befassen, ist das nämlich das Jahrhundert der Frauen. Nicht überall, nicht durchgehend, das wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. Aber gerade in Frankreich, das in kultureller Hinsicht Europa noch immer dominierte (wenn auch gerade in Musik, Literatur und Philosophie die deutschen Fürstentümer aufholten und England ja eh sehr eigen war), spielten Frauen eine große Rolle. Wiederum, das sollte nicht vergessen sein, gilt das für die Frauen der höheren Stände, wozu sich aber bald auch schon die Töchter des Bürgertums zählen durften. Der weibliche Einfluss in der Kunst ist beträchtlich; beispielsweise Madame de Pompadour, eine sehr geschickte Frau, was Außenwirkung und Propaganda anging, dazu gebildet, klug und weitaus mehr als ein Betthäschen – nun, sie war eine Mäzenin sämtlicher Sparten der Kunst. Andere Damen führten literarische Salons, in denen die Rhetorik und feiner Witz zu den französischen Talenten herangezüchtet wurde – viele dieser Salons waren das warme Nest, in das die Vordenker der Aufklärer zu gerne hüpften, um sich umsorgen und loben und inspirieren zu lassen.
Was in Frankreich galt, galt ebenso in manchen deutschen Fürstentümern. Nicht in allen, gerade Preußen und Österreich (trotz Maria Theresia) waren, was die Stellung des ‚Weibes‘ anging, deutlich weniger fortschrittlich als andere deutsche Länder. Ich kann es nun nur von Bonn sagen und es auch nur aus dem ziehen, was ich in Briefen, Steueraufstellungen und anderen Quellen herausgelesen habe; eine streng wissenschaftliche Aufarbeitung würde das gewiss nuancieren. Aber so sehr auch hier die Vorstellung davon herrschte, wie eine ideale Frau zu sein hatte und wo sie erwünscht war und wo nicht, so war man doch stolz auf Frauen wie beispielsweise die Witwe Koch, die nach dem Tod ihres Mannes den gemeinsamen Gasthof weiterführte und neue Ideen einbrachte.
Der Zehrgarten am Marktplatz war Treffpunkt der Hofmusikanten, des Adels, der Bürgerlichen, der Aufklärer und der jungen Leute (Männer wie Frauen jeglichen Standes) und der Kurfürst Max Franz, ebenfalls ein häufiger Gast, hielt große Stücke auf sie und ihre Tochter Babette, die immer wieder als das Ideal einer Frau beschrieben wird: Schön natürlich, aber vor allem geistreich, gebildet, klug und durchaus eigen). Das mit der Bildung kam nicht von ungefähr, denn ihre Mutter fügte der Wirtschaft einen Buchhandel zu, was noch mehr gelehrte Menschen an ihren Tisch brachte. Mittelpunkt alles geistigen und geselligen Vergnügens in Bonn war ihr Haus. Eine echte Powerfrau muss sie gewesen sein, die drei Kinder großzog und nebenbei noch das Hotel führte und offen mit einem Mann zusammenlebte, den sie nicht heiratete, und dennoch nicht ihres Ansehens verlustig ging. Dass all das möglich war und nicht zu einem Skandal führte, sagt einiges über die Zustände zu der Zeit aus. Fünfzig Jahre später wäre man ihr mit mehr Misstrauen begegnet, denn wahrhaftig galt eine Frau im nachfolgenden Jahrhundert weniger.
Bei meinen Recherchen bin ich natürlich auf viel mehr Frauen gestoßen, die eigentlich einen eigenen Roman verdient hätten. Es sind leider meist nur Streiflichter, die kurz über ihre Existenz gleiten, um sie dann wieder ins Vergessen zu stürzen. Da war Amalie von Mastiaux, hoch begabte Pianistin und natürlich eine Freundin von Babette Koch, der Wirtshaustochter, und von Eleonore von Breuning, der vermutlich großen Lieben van Beethovens. Da gab es die Gräfin Belderbusch, die um 1796 ihrem Mann davon lief, um einen Musiker zu heiraten. Sie konvertierte kurzerhand zum Protestantismus, ehelichte ihren Liebhaber und lebte recht glücklich mit ihm in Wien, wo sie auch Beethoven wieder über den Weg lief, der in Bonn regelmäßig im Belderbuscher Hof zu Gast gewesen war. Die Scheidung vom ersten Mann erfolgte irgendwann später. Der übrigens heiratete dann unsere Babette, die sich wohl liebevoll um seine Kinder gekümmert hatte und diese Liebe dann auf ihn übertrug. Das Glück währte leider nur kurz, denn ihr widerfuhr, was vielen, vielen Frauen widerfuhr, die mir in den letzten Wochen bekannt wurden: Sie starb an den Folgen einer Geburt. Dieses frühe Sterben betraf wirklich sehr viele Frauen. Ob Kaiserbräute oder Mägde, ob höhere Tochter oder einfache Bürgerin – immer und immer wieder stoße ich auf unglaublich interessante Frauen, die keine dreißig Jahre alt wurden. Dazu gibt es kaum eine Person, die nicht entweder ein Elternteil früh verloren oder den Verlust von Kindern oder Geschwistern zu verkraften hatte.
Damit habe ich mich jetzt allerdings von meinem Thema entfernt, aber da es ja nur ein kurzer Beitrag, eine kleine Plauderei sein sollte, mit der ich zeigen möchte, weshalb ich nun eine Reihe schreibe, deren Zeitrahmen so gar nicht gefragt ist im Augenblick. Das 18. Jahrhundert hat an einigen Orten ordentlich Platz gemacht für Frauen und ihre Lebensentwürfe. Das Heiratsalter übrigens, das finde ich auch interessant, lag bei Mitte bis Ende zwanzig für Frauen und Männer. Eilig hatte man es nicht; diese magische Grenze von einundzwanzig Jahren, die wir bei Miss Austen finden, hatte keine Bedeutung in diesen Jahrzehnten. Vielleicht auch deshalb, weil man wusste, wie leicht die Ehe tödlich enden würde für die geliebte Tochter. Vielleicht aber auch, weil junge Frauen erst einmal an sich selbst arbeiten wollten oder an der Gesellschaft. Auch da kann man noch einmal zu Jane Austen blicken, die ja in dieser Zeit groß wurde und von den Eltern kaum Grenzen gesetzt bekam. Sie durfte lesen, was sie wollte, und wurde ermutigt, sich zu bilden, ihre Meinung zu sagen und sich schreibend auszudrücken. Was ihren Nachfahren völlig verkehrt vorkam. Tante Jane galt der nachgeborenen Familie als gewöhnlich, unerzogen und sogar ein wenig peinlich. Man vernichtete noch mehr ihrer Briefe, äußerte sich abfällig über sie und legte Wert darauf, vornehmer zu sein. Weil die Welt sich verändert hatte und eine Frau bitte schön zufrieden sein sollte mit dem, was ihr Heim bot. Enger war die Welt geworden, enger, kleiner und spießiger und davon befreien wir uns noch immer.
Die Französische Revolution entwickelte sich rasch und wurde brutaler, unerbittlicher und blutiger, als man bei der Einberufung der Generalstände hätte ahnen können. Sie blieb nicht auf Frankreich beschränkt, sondern veränderte das Leben in Europa gründlich und bis heute.
Wie sah es in dieser Zeit in Bonn aus? Welche Folgen hatte die Unruhen für die Stadt am Rhein?
Kurfürst Max Franz, der jüngste Bruder der französischen Königin, war ein wohlmeinender und aufgeklärter Fürst, der sich wahrhaftig als Diener seines Volkes empfand und in Bonn auf ein Bürgertum traf, das keinerlei Berührungsängste hatte. Man war politisch wach, belesen und musikinteressiert; die Stände vermischten sich sehr selbstverständlich bei Musikabenden, Treffen der Illuminati oder in der Lese-Gesellschaft.
Der Stadt ging es recht gut, man war sich relativ einig in den Mitteln, mit denen mehr Gleichheit zu erreichen war. Und man lebte in einer Stadt, die dazu sehr vom Hof profitierte und von der Liebe der Kurfürsten zum Theater, sei es nun Oper oder Drama. Hier fand auch ein junger, mürrischer Mann, der früh schon die Stelle des Vaters an seinen Brüdern vertreten musste, Förderung und Auskommen: Ludwig van Beethoven.
Was ihm nach dem Tode seiner Mutter an familiärer Liebe und Anteilnahme fehlte, erhielt er von Freunden im Zehrgartenkreis und vor allem von der Familie von Breuning, in deren Tochter Eleonore er sich verliebt. Eleonore – Lorchen genannt – war gut befreundet mit Amalie von Mastiaux und Babette Koch.
Und mit Luise Dietz, meiner fiktivien Heldin. Die Tochter einer französischen Schauspielerin und eines Bonner Kaufmanns zieht es auf die Bühne und als das Bonner Nationaltheater am 3. Januar wieder eröffnet wird, ist sie stolzes Mitglied der Truppe.
Bald darauf lernt sie Gaston de Beretton kennen, der als persönlicher Gesandter Marie Antoinettes in Bonn weilt. Er ist charmant, wie man es allen Franzosen unterstellt. Was Luise wenig beeindruckt. Es sind seine warme Freundlichkeit und sein echtes Interesse an ihr, die ihn ihr Herz gewinnen lassen. Doch die Ereignisse in Frankreich beunruhigen ihn und bald steht er zwischen Liebe und Pflicht …
Der Park nahe am Rhein hatte im Laufe seiner Existenz viele Wandlungen durchgemacht, doch nie war er völlig zu dem geworden, was Kurfürst Joseph Clemens und nach ihm Kurfürst Clemens August im Sinn hatten. Ein Park so prächtig wie in Versailles sollte es werden; es waren Terrassen geplant, Stufen und Wasserwerke, Obstgärten und dekorative Schutzwälle, doch nur die doppelte Lindenallee links und rechts neben den nach französischem Vorbild angelegten Ziergärten und ein Brunnen dort, wo später die Anatomie von Schinkel erbaut wurde, sollten fertiggestellt werden. Nachdem 1777 das kurfürstliche Schloss bei einem fünf Tage andauernden Brand zerstört worden war, fehlte es an Geld für die Gartenanlage; es fehlte so sehr, dass sogar das Schloss nur eingeschossig wieder aufgebaut wurde und sich statt der geometrisch angeordneten Blumenrabatten nur noch eine schlichte Rasenfläche zwischen den Linden ausbreitete.
Dann kam die Zeit der napoleonischen Besetzung und machte eventuellen Gartenbauträumen endgültig den Garaus. Im Schloss brachten die Franzosen ein Lyzeum unter und auf der Hofgartenwiese – nun Nationalgarten genannt – hielten sie Kundgebungen und Feiern ab. Nach ihrem Abzug war von der früheren Pracht nicht allzu viel übrig.
Um 1850 herum kam noch einmal die Idee auf, es mit einer barocken Anlage zu versuchen, aber die Kosten nicht nur für die Erschaffung, sondern ebenso für den Erhalt eines dermaßen aufwändigen Gartens sprachen vermutlich eine deutlichere Sprache als der Wunsch nach kurfürstlicher Pracht. Immerhin blieb der Park erhalten und wurde weder in Sportplätze noch Baugrund umgewandelt, wie es manche Bonner vorgeschlagen hatten. Zu viele andere wollten den Hofgarten erhalten – daran hat sich bis heute nichts geändert, denn noch immer werden gelegentlich höchst erstaunliche Vorschläge unterbreitet.
Statt der Linden säumten um 1900 Ulmen den Park, in dem man sich bei sonntäglichen Spaziergängen, studentischen Feiern oder kaiserlichen Besuchen traf. Hier holte man Luft und suchte nach Erholung zwischen Einkauf und Haushalt, hierhin gingen Kindermädchen mit ihren Schützlingen, hier ließen Bonnerinnen und Bonner die Seele baumeln.