Kategorie: Bonn

  • Warum eigentlich immer wieder Bonn?

    Warum eigentlich immer wieder Bonn?

    Ok, ich kann es nicht länger verbergen: Meine Heimatstadt ist fast immer auch Schauplatz meiner Romane. Die eine oder andere hat das vielleicht schon gemerkt. Warum ist das so? Bin ich so heimatverbunden? Ist meine Familie so fest in dieser Stadt verwurzelt? Bin ich in einem Stadtverein oder sponsert mich die Bürgermeisterin?

    Nein. Nichts davon. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und hierher zurück gekommen. Ich fühle mich hier wohl, ich mag die Landschaft und die Leute und mittlerweile hört man meinem Tonfall deutlich an, woher ich komme (was ich gelegentlich erschreckend und bedauerlich finde, war ich doch immer sehr hochdeutsch). Meine Eltern kamen aus Köln und Lindau, Vereine sind nichts für mich und leider gibt mir auch niemand Geld dafür, Bonn und seine Geschichte zu beschreiben.

    Ich tue das, weil ich mich zum Einen sicher fühle, wenn ich beschreibe, was mich täglich umgibt, und zum Anderen, weil ich die Geschichte meiner Stadt immer schon sehr spannend gefunden habe. Geht man durch die Innenstadt und schaut man über die Geschäftsauslagen hinweg, so findet man überall Spuren der Vergangenheit. Da Bonn einige Male zerstört wurde, sind sie nicht unbedingt zahlreich und doch ist mit über zweitausend Jahre Geschichte Bauwerke, Straßenzüge und Ortsnamen verbunden. Wird hier an der Kanalisation gearbeitet oder Erde ausgehoben, so sind die Chancen so gering nicht, entweder auf eine Fliegerbombe zu stoßen oder aber auf etwas, das uns die Römer und Germanen oder all jene, die nach ihnen hier lebten oder kamen, hinterlassen haben. Es finden sich mittelalterliche Häuser, barocke Gebäude und sehr, sehr viele Gründerzeitvillen (darüber habe ich in Bezug auf die Hedwig-Trilogie einiges erzählt).

    Bonns Geschichte war wechselhaft und es wäre völlig verkehrt, sie auf die relativ kurze Periode als Bundeshauptstadt zu beschränken und die ewig alten Witze über die Stadt zu reißen, die schon durch ihre Lage an der Kölner Bucht nicht viel größer sein könnte, als sie ist. Bonn war Römerlager und davor wohl schon germanische Siedlung, sie war Schauplatz eines Reformationsgefechts, in dem die Liebe eine große Rolle spielte, und sie war jahrhundertelange Residenz der Kölner Kurfürsten, die sich in Köln nicht mehr recht wohlfühlen konnten, nachdem die Bevölkerung sich mit ihnen angelegt hatte. Dann lieber im kleineren und sonnigeren Bonn etwas bescheidener leben und einen relativen Frieden genießen, wenn nur die Franzosen nicht alle naselang vorbeischauen wollten.

    Das mit der Bescheidenheit ist allerdings so eine Sache, denn gerade im 18. Jahrhundert entfaltete sich hier eine Pracht, die alles andere als bescheiden war. Casanova schaute vorbei und überhaupt so ziemlich jeder Reisende, dem es nach Kultur, Frohsinn und guten Beziehungen gelüstete. Bonn entwickelte sich zu einer Stadt der Aufklärung, zumal unter dem letzten Kurfürsten, dem Bruder der Marie Antoinette. Der war nun wirklich bescheiden und lief im braunen Rock mehrmals am Tag durch Bonn, half auch schon mal beim Tragen der Einkäufe oder steckte seine Habsburger lange Nase in die Fenster der Bürger, um sich zu unterhalten. Ihm gelang, was anderen Fürsten zur Zeit der Französischen Revolution nicht gelang: Seine Bonner hielten ihn zu ihm, denn er handelte so klug und besonnen, so sehr im Sinne des Volkes, dass man hier von Aufruhr und Rebellion nichts wissen wollte. Er sorgte für Armenärzte, die kein Honorar von den Patienten nahmen, und richtete Studierzimmer im Schloss ein, in denen die Studenten warm und bequem arbeiten konnten und dazu Licht, Papier und Tinte nebst den nötigen Büchern vorfanden. Als er die Stadt verlassen musste, ging eine Ära zu Ende, der die Bevölkerung noch lange nachtrauerte.

    Nach ihm kamen die Franzosen und Bonns Bedeutung sank zu einem Nichts herab, was sich kaum besserte, als es preußisch wurde – mit denen mochte man noch weniger anfangen als mit den Franzosen. Das immerhin sorgte dafür, dass sich eine recht selbstbewusste Kaufmannsschicht bildete, die es bis zur Jahrhundertwende schaffte, die Stadt zur drittreichsten Stadt des Reiches zu machen, in der sich auch ausländische Rentiers zu gerne niederließen. Durch den ersten Weltkrieg ging auch diese Hochzeit zu Ende und Bonn rappelte sich nur mühsam auf. Wie anderswo auch, war das Bürgerliche, das gute hundert Jahre zuvor noch als innovativ, liberal und fortschrittlich gegolten hatte, nun deutschnational, unbeweglich und darauf aus, möglichst keine weitere Änderung zuzulassen – die Nazis fanden es nicht allzu schwierig, hier Fuß zu fassen, wenn es auch Widerstand gab.

    Bonn hatte im Krieg weitestgehend Glück, vergleicht man es mit Köln. Die gesamte Altstadt am Rhein – Herzstück der Stadt, Wohnort der Beethovens und Zentrum trunkener Studenten aller Jahrhunderte, war dahin, aber es blieb dann doch so viel der früheren Repräsentationsbauten, dass es sich zur Hauptstadt Adenauers anbot. Auch die Mischung aus Bildung, Bürgerschaft und Beamtentum machte es verhältnismäßig leicht, Abgeordnete und Staatsbedienstete unterzubringen, von denen die meisten sich wohlgefühlt haben in der Stadt der kurzen Wege. Als Bonnerin, die diese Zeiten zum Teil miterlebt hat (ganz so alt bin ich dann doch nicht), durfte ich feststellen, was auch andere bemerkt haben: Je kleiner der Ort war, aus der der Bundesgast kam, desto abfälliger äußerte der sich über Bonn, in dem einfach zu wenig los war. Das dürfte ganz oft auch daran gelegen haben, dass man ausgemachte Miesepeter eher nicht in die guten Stuben der nächtlichen Unterhaltung eingeladen hat, während man durchaus gut und gerne neben einem wie dem Genscher im Restaurant sitzen mochte, ob man seine Vorstellung von Politik teilte oder nicht.

    Ja und heute? Bonn sucht wie andere Städte auch einen Weg in die Zukunft. Noch immer leben die Bonnerinnen und Bonner gerne in ihrer Stadt und schätzen Lage wie Angebot. Aber Klimakrise, Waldsterben und die ewig gleichen Ladenketten, die Ödnis bringen, wenn sie kommen, und mehr davon hinterlassen, wenn sie gehen, machen auch der Stadt am Rhein zu schaffen. Mir persönlich sind viele Mitbürger zu unbeweglich in ihren Vorstellungen, zu sehr auf den eigenen Vorteil bedacht. Ich nehme mich davon nicht aus, aber da hilft vielleicht ein Blick zurück in diese sehr bewegte Geschichte, um mit mehr Mut nach vorne zu schauen und Neues zu wagen. Eine Stadt mit mehr Grün und weniger Autoverkehr – ich könnte mir das gut denken.

  • Der berühmteste Sohn der Stadt

    Der berühmteste Sohn der Stadt

    Nun ja, das kann natürlich nur Einer sein: Ludwig oder auch Louis, wie er im damaligen Bonn oft genannt wurde, von Beethoven. Über ihn kann man mit Leichtigkeit so ziemlich alles finden, was interessiert. Was mich aber interessiert, ist seine Rolle in Luises Geschichte.

    Zunächst einmal ist es für ein absoluter Glücksfall, dass er in Bonn geboren und aufgewachsen ist und bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahr hier lebte. Auch, dass er sich immer zurücksehnte an die Stadt am Rhein, freut mich. Nicht nur als nachgeborene Mitbürgerin, sondern weil er es mir so recht leicht macht, mich so weit in ihn hineinzufühlen, dass er als Nebenfigur durch meinen Roman huschen darf. Viel großartiger aber ist, dass seine spätere Berühmtheit dafür sorgt, dass ich vieles über meine Stadt um 1790 herausfinden kann – einfach, weil man Beethovens Leben hier und die ihn prägenden Einflüsse oft erforscht und niedergeschrieben hat.

    Da wären seine Arbeit als Hoforganist und die Bewunderung, die er beim Kurfürsten durch sein Talent erregt hat. Dadurch sind auch das Bönnische Nationaltheater und das Opernspiel am Hofe zumindest so weit dokumentiert, dass ich mich an einigen Fakten entlanghangeln und doch meine Fantasie laufen lassen kann.
    Dann sein Familienleben, das Aufschluss gibt über die Verhältnisse der Zeit, die Kosten des Unterhalts und die Art, wie gewohnt wurde. Dass es mit dem Tode seiner Mutter schwierig wurde mit dem alkoholkranken Vater, der kaum noch in der Lage war, seine eigene Stellung in der Hofkapelle zu erhalten, verschafft mir Einblicke in das Zusammenleben der Stände – Louis nämlich fand enge Freunde und eine zweite Mutter in der Familie Helene von Breunings. Dass sich Adlige und Bürgerliche in Zirkeln, Vereinen und Klubs zusammenfanden, dass man zusammen aß, trank und tanzte und in denselben Gasthäusern verkehrte (vornehmlich in Zehrgarten der Witwe Koch, deren Tochter Babette als Ideal der Demoisell von Schönheit und Bildung galt) – nun, das war nicht überall selbstverständlich und womöglich hätte ich das nur schwerlich herausgefunden, hätte es Beethoven nicht gegeben.

    Muss er deshalb aber in meinem Roman als der oft schlecht gelaunte junge Mann auftreten, der er war? Spielt er eine bedeutende Rolle, dreht sich die Geschichte denn auch um seine Jugendjahre?
    Beabsichtigt war das gar nicht; er ist nicht der Aufhänger der Geschichte und auch nicht ihr Mittelpunkt. So wenig übrigens wie Marie Antoinette oder Max Franz Hauptrollen erhalten. Aber diese drei Personen herauszuhalten, wäre nicht gegangen. Luise als Schauspielerin und Sängerin des wieder eröffneten Schlosstheaters hätte sich schon sehr anstrengen müssen, nicht mit Louis in einem Raum zusammen zu treffen. Auch ihre Stellung als Tochter eines angesehenen Kaufmanns und Mitbegründer des heute noch existierenden Lese-Vereins bringt sie in Verbindung mit demselben Freundeskreis des Musikgenies. Sie ist befreundet mit jener Babette und auch mit Lorchen von Breuning, in der man oft Beethovens große Liebe vermutet. Auch Amalie von Mastiaux ist eine Freundin – die jungen Frauen sind im selben Alter, haben dieselben Interessen und haben allesamt Beziehung zum Hof, der das Leben in der Residenzstadt prägt. Selbstverständlich gehört sie zu den Demoisellen, die die Aufmerksamkeit Beethovens erregt haben – verliebt war er wohl recht oft, sein Talent aber als romantischer Liebhaber war offenbar begrenzt.

    Was ihn als Nebenfigur noch interessanter macht. Er wird also immer wieder einmal einen Streit vom Zaun brechen, das Publikum verzaubern oder auch loben, ermutigen und lachen. Es war eine aufregende Zeit voller Debatten, musikalischen Abenden und literarischen Zirkeln und zu all dem hatte Beethoven Zugang, weil in Bonn der Gedanke von Gleichheit und Gerechtigkeit schon vor der Französischen Revolution Fuß gefasst hatte, denn in einer räumlich engen Stadt ließ sich anderes kaum durchsetzen.
    Diese Atmosphäre möchte ich gerne einfangen und ohne den berühmtesten Sohn Bonns wäre das nicht machbar.

  • Aufruhr hinter den Kulissen

    Aufruhr hinter den Kulissen

    Die erste Liebe ist immer ein Abenteuer.
    Erst recht in Zeiten der Revolution.

    Im Frühjahr 1789 trifft Philippe de Beretton in Bonn ein. Charmant, leichtsinnig, etwas oberflächlich gibt er sich, um zu verbergen, dass er im Auftrag der französischen Königin Marie Antoinette unterwegs ist.
    Mit allem rechnet er. Nicht damit, sich zu verlieben.

    Auch Luise hat anderes im Sinn als die Liebe.
    Die Tochter eines reichen Kaufmanns steht als Schauspielerin auf der Hofbühne, feiert Erfolge und ist nicht bereit, sich mit einem französischen Chevalier einzulassen. Auch wenn sie Tag für Tag an seine dunklen Augen denkt.

    Während in Bonn Bürgerschaft und Adel gemeinsam feiern, tanzen und lachen, fällt in Paris die Bastille. Philippe bleibt nichts anderes übrig, als in die Heimat aufzubrechen. Aus heiterem Rokokospiel wird blutiger Ernst …

  • Spannende Persönlichkeiten

    Spannende Persönlichkeiten

    Für den ersten Band von Luise & Philippe habe ich ein Vorwort geschrieben, das ich – mehr oder weniger identisch – auch hier poste. Weil es mir echt auf der Seele brennt.

    Nun, in diesem Roman und auch den Folgebänden sind die meisten Nebenrollen von echten Persönlichkeiten -– oft sogar sehr prominenten -– besetzt. Ob es Luises guter Kamerad Ludwig van Beethoven ist, die Königin von Frankreich oder all diejenigen, die weniger bekannt sind: Sie alle haben Leben geführt, die einen eigenen Roman wert wären. Dennoch sind sie Nebenfiguren und so schwer es mir mitunter fiel, sie haben daher nur wenig Platz erhalten, um zu leuchten und zu glänzen. Was mich nicht gehindert hat, so viel wie möglich über sie herauszufinden.

    Was wiederum oft nur wenig war. Am meisten ist vermutlich über die Familie von Breuning bekannt und manches über Babette Koch, doch selbst ist das ist erstaunlich wenig; vieles ist nur angedeutet und reizt mich sehr, eine Geschichte für jede einzelne Person zu entwickeln, die mir so begegnet ist.
    So weiß ich beispielsweise von Amalie von Mastiaux, wen sie geheiratet hat, doch nicht wann das geschehen ist; dafür kommen zwei oder drei Jahre infrage. Ich weiß auch, dass es keine glückliche Ehe war und es gibt in einer (in tagelanger Suche und mit einem Genealogieseiten-Abo, das ich nun kaum wieder loswerde, gefundenen) Familienerinnerung ein, zwei Sätze, hinter denen sich ein möglicher Grund verbergen könnte. Ich habe mir daher bei ihr so wie auch bei anderen, von denen ähnlich wenig bekannt ist, die Freiheit genommen, anhand dieser kurzen Begebenheiten oder Aussprüche eine dazu passende Figur zu gestalten, die eben doch weitgehend fiktiv ist.

    Aber wenn ich dank meiner Recherchen von der Tochter des französischen Gesandten, der kleinen Juliette, weiß, zu welcher Frau sie heranwuchs, dann lag es nah, diese Anlagen auch im Mädchen schon sichtbar zu machen. Und wenn schon die Zeitgenossen über die Ähnlichkeit des Bonner Kurfürsten mit seinem Schwager, dem französischen König, redeten, dann lasse ich auch meinen Helden seine Ideen dazu formulieren, nachdem ich mich freute, dass mein eigener Eindruck durch diese Funde bestätigt wurde (die Autorin klopfte sich begeistert auf die Schulter, brachte sich damit ins Stolpern und stürzte kopfüber ins Eigenlob – nass und klebrig).

    Wo es darum geht, Stimmungen, Meinungen und Ideen wiederzugeben, die diese Zeit bewegt haben, dann beruhen meine Schilderungen und Dialoge auf dem, was in Briefen und Memoiren festgehalten wurde. Alles, was meine Figuren zu Politik und Literatur sagen, wie sie Freundschaft sehen, was sie am Leibe tragen und wie sie wohnen, haben vor über zweihundert Jahren andere Menschen erlebt. Vor diesem Hintergrund dürfen Luise und Philippe agieren, ganz als Geschöpfe ihrer Zeit und ihrer Umgebung.

  • Frauenleben im 18. Jahrhundert

    Frauenleben im 18. Jahrhundert

    Ups, der Titel verspricht vielleicht etwas viel; mehr auf jeden Fall, als ich in einem schnellen Beitrag liefern kann. Trotzdem möchte ich darüber sprechen, weil mir in den letzten Tagen – im Gespräch mit Freundinnen, Bekannten und Leserinnen – wieder einmal auffiel, was mir schon öfter begegnet ist. Dass wir nämlich

    • im Schnitt gar nicht sonderlich viel von der Zeit zwischen 1700 und 1799 wissen,
    • sie somit als eine Zeit des Unfriedens (Französische Revolution!) und der Ungerechtigkeit begreifen
    • und sowieso dazu neigen, gerade unsere eigene Geschichte – also die Geschichte der Frauen, die noch immer zu wenig Beachtung erhält – als eine Art gleichmäßig aufsteigende Linie betrachten, die irgend wie so verläuft: Sklavin – Hexe – Heiratshandelsgut – Hausfrau und Mutter – emanzipierte Frau heute.

    Das ist natürlich scheußlich verallgemeinert und ganz bestimmt liest das jetzt nicht nur eine kluge Frau, die sagen kann: Mich meint sie damit nicht! Tue ich auch nicht. Aber ich habe mich nun während der letzten drei Wochen – und das ist nicht übertrieben, meine Augenringe beweisen es – Tag und Nacht mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert befasst und mich dabei auf Kurköln und Frankreich konzentriert ebenso wie auch die Rolle der Frau an diesen Orten.

    Und dabei fiel mir auf, wie oft zwischen den Zeilen der weniger guten Artikeln ein Bild entsteht, dass dieses Jahrhundert als unglaublich weit fort von uns zeichnet. Oder einmal anders herum beschrieben: Wie häufig liest man von den Suffragetten als den ersten Frauenrechtlerinnen? Oder vom 20. Jahrhundert als dem Jahrhundert der Frauen? Obwohl ein ziemlich großer Teil der darin enthaltenen Jahrzehnte, obwohl sie uns so nahe sind, alles andere als gut für uns waren? Was die 1920er möglich machten, ist danach erst einmal zurückgeführt worden und dann brauchte es bis in die Sechziger und Siebziger, um ein ähnlich hohes und selbst bestimmtes Ansehen in der Öffentlichkeit zu erreichen. (Und vielleicht wäre jetzt ein guter Moment, um einzufügen, dass die Verbesserungen meist nur einen Teil der Frauen erreicht hat – nämlich diejenigen, die schon unter besseren Bedingungen ins Leben gestartet sind, ob es nun Vermögen, Familie, Hautfarbe oder Neigungen sind).

    Um einen Namen wie Olympe de Gouges zu kennen oder Manon Roland, um etwas von Mary Wollstonecraft gelesen zu haben oder auch nur von Sophie von La Roche – nun, dafür muss man sich schon sehr entweder mit der Historie der weiblichen Emanzipation befasst haben. Oder, im letzten Fall, mit der deutschen Literaturgeschichte. Malerinnen, Musikerinnen, Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen, Politikerinnen und Salondamen: Wenn da mal der eine oder andere Name fällt, kann man schon froh sein, und da ist es vielleicht kein Wunder, dass wir meinen, eine Häufung weiblicher prominenter Personen, je näher wir an unsere Moderne rücken, zeige auch die Zunahme weiblicher Teilhabe an der Gesellschaft.

    Jein. Wenn ich in einer früheren Zeit hätte leben müssen, dann würde ich das 18. Jahrhundert gewählt haben und ich hätte wahrhaftig auch Bonn gewählt. Für viele Wissenschaftlerinnen, die sich mit diesem Zeitraum befassen, ist das nämlich das Jahrhundert der Frauen. Nicht überall, nicht durchgehend, das wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. Aber gerade in Frankreich, das in kultureller Hinsicht Europa noch immer dominierte (wenn auch gerade in Musik, Literatur und Philosophie die deutschen Fürstentümer aufholten und England ja eh sehr eigen war), spielten Frauen eine große Rolle. Wiederum, das sollte nicht vergessen sein, gilt das für die Frauen der höheren Stände, wozu sich aber bald auch schon die Töchter des Bürgertums zählen durften. Der weibliche Einfluss in der Kunst ist beträchtlich; beispielsweise Madame de Pompadour, eine sehr geschickte Frau, was Außenwirkung und Propaganda anging, dazu gebildet, klug und weitaus mehr als ein Betthäschen – nun, sie war eine Mäzenin sämtlicher Sparten der Kunst. Andere Damen führten literarische Salons, in denen die Rhetorik und feiner Witz zu den französischen Talenten herangezüchtet wurde – viele dieser Salons waren das warme Nest, in das die Vordenker der Aufklärer zu gerne hüpften, um sich umsorgen und loben und inspirieren zu lassen.

    Was in Frankreich galt, galt ebenso in manchen deutschen Fürstentümern. Nicht in allen, gerade Preußen und Österreich (trotz Maria Theresia) waren, was die Stellung des ‚Weibes‘ anging, deutlich weniger fortschrittlich als andere deutsche Länder. Ich kann es nun nur von Bonn sagen und es auch nur aus dem ziehen, was ich in Briefen, Steueraufstellungen und anderen Quellen herausgelesen habe; eine streng wissenschaftliche Aufarbeitung würde das gewiss nuancieren. Aber so sehr auch hier die Vorstellung davon herrschte, wie eine ideale Frau zu sein hatte und wo sie erwünscht war und wo nicht, so war man doch stolz auf Frauen wie beispielsweise die Witwe Koch, die nach dem Tod ihres Mannes den gemeinsamen Gasthof weiterführte und neue Ideen einbrachte.

    Der Zehrgarten am Marktplatz war Treffpunkt der Hofmusikanten, des Adels, der Bürgerlichen, der Aufklärer und der jungen Leute (Männer wie Frauen jeglichen Standes) und der Kurfürst Max Franz, ebenfalls ein häufiger Gast, hielt große Stücke auf sie und ihre Tochter Babette, die immer wieder als das Ideal einer Frau beschrieben wird: Schön natürlich, aber vor allem geistreich, gebildet, klug und durchaus eigen). Das mit der Bildung kam nicht von ungefähr, denn ihre Mutter fügte der Wirtschaft einen Buchhandel zu, was noch mehr gelehrte Menschen an ihren Tisch brachte. „Mittelpunkt alles geistigen und geselligen Vergnügens in Bonn“ war ihr Haus. Eine echte Powerfrau muss sie gewesen sein, die drei Kinder großzog und nebenbei noch das Hotel führte und offen mit einem Mann zusammenlebte, den sie nicht heiratete, und dennoch nicht ihres Ansehens verlustig ging. Dass all das möglich war und nicht zu einem Skandal führte, sagt einiges über die Zustände zu der Zeit aus. Fünfzig Jahre später wäre man ihr mit mehr Misstrauen begegnet, denn wahrhaftig galt eine Frau im nachfolgenden Jahrhundert weniger.

    Bei meinen Recherchen bin ich natürlich auf viel mehr Frauen gestoßen, die eigentlich einen eigenen Roman verdient hätten. Es sind leider meist nur Streiflichter, die kurz über ihre Existenz gleiten, um sie dann wieder ins Vergessen zu stürzen. Da war Amalie von Mastiaux, hoch begabte Pianistin und natürlich eine Freundin von Babette Koch, der Wirtshaustochter, und von Eleonore von Breuning, der vermutlich großen Lieben van Beethovens. Da gab es die Gräfin Belderbusch, die um 1796 ihrem Mann davon lief, um einen Musiker zu heiraten. Sie konvertierte kurzerhand zum Protestantismus, ehelichte ihren Liebhaber und lebte recht glücklich mit ihm in Wien, wo sie auch Beethoven wieder über den Weg lief, der in Bonn regelmäßig im Belderbuscher Hof zu Gast gewesen war. Die Scheidung vom ersten Mann erfolgte irgendwann später. Der übrigens heiratete dann unsere Babette, die sich wohl liebevoll um seine Kinder gekümmert hatte und diese Liebe dann auf ihn übertrug. Das Glück währte leider nur kurz, denn ihr widerfuhr, was vielen, vielen Frauen widerfuhr, die mir in den letzten Wochen bekannt wurden: Sie starb an den Folgen einer Geburt.
    Dieses frühe Sterben betraf wirklich sehr viele Frauen. Ob Kaiserbräute oder Mägde, ob höhere Tochter oder einfache Bürgerin – immer und immer wieder stoße ich auf unglaublich interessante Frauen, die keine dreißig Jahre alt wurden. Dazu gibt es kaum eine Person, die nicht entweder ein Elternteil früh verloren oder den Verlust von Kindern oder Geschwistern zu verkraften hatte.

    Damit habe ich mich jetzt allerdings von meinem Thema entfernt, aber da es ja nur ein kurzer Beitrag, eine kleine Plauderei sein sollte, mit der ich zeigen möchte, weshalb ich nun eine Reihe schreibe, deren Zeitrahmen so gar nicht gefragt ist im Augenblick. Das 18. Jahrhundert hat an einigen Orten ordentlich Platz gemacht für Frauen und ihre Lebensentwürfe. Das Heiratsalter übrigens, das finde ich auch interessant, lag bei Mitte bis Ende zwanzig für Frauen und Männer. Eilig hatte man es nicht; diese magische Grenze von einundzwanzig Jahren, die wir bei Miss Austen finden, hatte keine Bedeutung in diesen Jahrzehnten. Vielleicht auch deshalb, weil man wusste, wie leicht die Ehe tödlich enden würde für die geliebte Tochter. Vielleicht aber auch, weil junge Frauen erst einmal an sich selbst arbeiten wollten oder an der Gesellschaft. Auch da kann man noch einmal zu Jane Austen blicken, die ja in dieser Zeit groß wurde und von den Eltern kaum Grenzen gesetzt bekam. Sie durfte lesen, was sie wollte, und wurde ermutigt, sich zu bilden, ihre Meinung zu sagen und sich schreibend auszudrücken. Was ihren Nachfahren völlig verkehrt vorkam. Tante Jane galt der nachgeborenen Familie als gewöhnlich, unerzogen und sogar ein wenig peinlich. Man vernichtete noch mehr ihrer Briefe, äußerte sich abfällig über sie und legte Wert darauf, vornehmer zu sein. Weil die Welt sich verändert hatte und eine Frau bitte schön zufrieden sein sollte mit dem, was ihr Heim bot. Enger war die Welt geworden, enger, kleiner und spießiger und davon befreien wir uns noch immer.

  • Luise & Philippe – eine abenteuerliche Liebe im 18. Jahrhundert

    Luise & Philippe – eine abenteuerliche Liebe im 18. Jahrhundert

    Die Französische Revolution entwickelte sich rasch und wurde brutaler, unerbittlicher und blutiger, als man bei der Einberufung der Generalstände hätte ahnen können. Sie blieb nicht auf Frankreich beschränkt, sondern veränderte das Leben in Europa gründlich und bis heute.

    Wie sah es in dieser Zeit in Bonn aus? Welche Folgen hatte die Unruhen für die Stadt am Rhein?

    Kurfürst Max Franz, der jüngste Bruder der französischen Königin, war ein wohlmeinender und aufgeklärter Fürst, der sich wahrhaftig als Diener seines Volkes empfand und in Bonn auf ein Bürgertum traf, das keinerlei Berührungsängste hatte. Man war politisch wach, belesen und musikinteressiert; die Stände vermischten sich sehr selbstverständlich bei Musikabenden, Treffen der Illuminati oder in der Lese-Gesellschaft.

    Der Stadt ging es recht gut, man war sich relativ einig in den Mitteln, mit denen mehr Gleichheit zu erreichen war. Und man lebte in einer Stadt, die dazu sehr vom Hof profitierte und von der Liebe der Kurfürsten zum Theater, sei es nun Oper oder Drama. Hier fand auch ein junger, mürrischer Mann, der früh schon die Stelle des Vaters an seinen Brüdern vertreten musste, Förderung und Auskommen: Ludwig van Beethoven.

    Was ihm nach dem Tode seiner Mutter an familiärer Liebe und Anteilnahme fehlte, erhielt er von Freunden im Zehrgartenkreis und vor allem von der Familie von Breuning, in deren Tochter Eleonore er sich verliebt. Eleonore – Lorchen genannt – war gut befreundet mit Amalie von Mastiaux und Babette Koch.

    Und mit Luise Dietz, meiner fiktivien Heldin. Die Tochter einer französischen Schauspielerin und eines Bonner Kaufmanns zieht es auf die Bühne und als das Bonner Nationaltheater am 3. Januar wieder eröffnet wird, ist sie stolzes Mitglied der Truppe.

    Bald darauf lernt sie Gaston de Beretton kennen, der als persönlicher Gesandter Marie Antoinettes in Bonn weilt. Er ist charmant, wie man es allen Franzosen unterstellt. Was Luise wenig beeindruckt. Es sind seine warme Freundlichkeit und sein echtes Interesse an ihr, die ihn ihr Herz gewinnen lassen. Doch die Ereignisse in Frankreich beunruhigen ihn und bald steht er zwischen Liebe und Pflicht …

  • Der Bonner Hofgarten

    Der Bonner Hofgarten

    Der Park nahe am Rhein hatte im Laufe seiner Existenz viele Wandlungen durchgemacht, doch nie war er völlig zu dem geworden, was Kurfürst Joseph Clemens und nach ihm Kurfürst Clemens August im Sinn hatten. Ein Park so prächtig wie in Versailles sollte es werden; es waren Terrassen geplant, Stufen und Wasserwerke, Obstgärten und dekorative Schutzwälle, doch nur die doppelte Lindenallee links und rechts neben den nach französischem Vorbild angelegten Ziergärten und ein Brunnen dort, wo später die Anatomie von Schinkel erbaut wurde, sollten fertiggestellt werden.
    Nachdem 1777 das kurfürstliche Schloss bei einem fünf Tage andauernden Brand zerstört worden war, fehlte es an Geld für die Gartenanlage; es fehlte so sehr, dass sogar das Schloss nur eingeschossig wieder aufgebaut wurde und sich statt der geometrisch angeordneten Blumenrabatten nur noch eine schlichte Rasenfläche zwischen den Linden ausbreitete.

    Dann kam die Zeit der napoleonischen Besetzung und machte eventuellen Gartenbauträumen endgültig den Garaus. Im Schloss brachten die Franzosen ein Lyzeum unter und auf der Hofgartenwiese – nun Nationalgarten genannt – hielten sie Kundgebungen und Feiern ab. Nach ihrem Abzug war von der früheren Pracht nicht allzu viel übrig.

    Um 1850 herum kam noch einmal die Idee auf, es mit einer barocken Anlage zu versuchen, aber die Kosten nicht nur für die Erschaffung, sondern ebenso für den Erhalt eines dermaßen aufwändigen Gartens sprachen vermutlich eine deutlichere Sprache als der Wunsch nach kurfürstlicher Pracht. Immerhin blieb der Park erhalten und wurde weder in Sportplätze noch Baugrund umgewandelt, wie es manche Bonner vorgeschlagen hatten. Zu viele andere wollten den Hofgarten erhalten – daran hat sich bis heute nichts geändert, denn noch immer werden gelegentlich höchst erstaunliche Vorschläge unterbreitet.

    Statt der Linden säumten um 1900 Ulmen den Park, in dem man sich bei sonntäglichen Spaziergängen, studentischen Feiern oder kaiserlichen Besuchen traf. Hier holte man Luft und suchte nach Erholung zwischen Einkauf und Haushalt, hierhin gingen Kindermädchen mit ihren Schützlingen, hier ließen Bonnerinnen und Bonner die Seele baumeln.

  • Die Rheingasse

    Die Rheingasse

    Über Jahrhunderte war diese nicht allzu breite Straße einer der wichtigsten Wege vom Rheinufer hin zur inneren Stadt. In der Rheingasse ließen sich gute Geschäfte machen, hier erhielt man vielleicht einige Stunden vor allen anderen Mitbürgern die neuesten Nachrichten, die mit den Schiffern über den Strom herankamen.

    Wo Händler, Reisende und Beamte täglich hindurch mussten, siedelten sich Handwerker jeder Zunft an; Arbeit gab es hier mehr als genug. Und weil das Flicken, Knüpfen, Schmieden Hunger bereitete und dazu einige Adelshöfe gute Aufträge zu vergeben hatten, waren Bäcker, Metzger und Gastwirte nicht fern.

    Bis 1944 hielten sich die ältesten Gasthäuser Bonns in der Rheingasse, die unter verschiedenen Namen von 1535 an reichlich Besuch hatten. Erwünschten ebenso wie unerwünschten: Durch diese Gasse ritten die bewaffneten Anhänger Gebhard von Truchsess’ ebenso wie in schöner Regelmäßigkeit Soldaten aus Frankreich, Schweden und den Niederlanden und hinterließen zerstörte Häuser und menschliches Leid.
    Aber womöglich flanierte auch Casanova in Maske und Domino hier entlang, als er auf dem Weg war, den Kurfürsten zu einem Abendessen zu treffen, bestimmt ging Goethe hier hindurch und Hans Christian Andersen sowieso, vielleicht fand auch Clara Schumann die Zeit, hier Abwechslung von der Pflege des kranken Ehemanns zu finden – an der Rheingasse war kein Vorbeikommen.

    Erst recht nicht, als im 19. Jahrhundert die Begeisterung für das Mittelalter und das vermeintlich urtümlich Deutsche hochschwappte, denn diese Gasse war die Essenz dessen, was man unter Rheinromantik und Alt-Bonn verstand: Eng gedrängt säumten mittelalterliche Fachwerkhäuser und barocke Gebäude den Weg, ragten zumindest drei, manchmal vier und sogar fünf Stockwerke auf und boten noch immer Platz für Kunst, Handwerk und Gastreundschaft.
    Hier wohnten gutsituierte Witwen, erfolgreiche Handwerksmeister, Kleinfabrikanten, Arbeiter, Näherinnen und Wäscherinnen; wer wirklich wohlhabend war, suchte anderswo in der Stadt eine Bleibe, denn der Rhein stieg regelmäßig hoch an und bescherte nasse Füße. Deshalb vielleicht war es so vielen Handwerksfamilien möglich, die zunächst gemieteten Häuser bald zu kaufen. Hier und in den umliegenden Straßen (Gier-, Mühlen- und Kallengasse) hatte sich über die Jahrhunderte hinweg ein fleißiges Kleinbürgertum etabliert.

    Ruhe herrschte in der Rheingasse vermutlich selten einmal: In den Hinterhöfen waren Backstuben, Werkstätten und Biergärten untergebracht, nach vorne hinaus wurde gehandelt und verkauft und um Gäste gebuhlt. Ruhe wurde vermutlich noch kostbarer, nachdem die Bonner Universität gegründet worden war. Die wurde vom Preußenkönig mit viel Geld und Unterstützung versehen, was ihr sehr gute und moderne Professoren einbrachte und damit viele, viele Studenten bescherte. Junge Männer, die neben der Paukerei genau nach den Dingen suchten, die die Rheingasse zu bieten hatte: gemütliche Kneipen, Wein und Gesang. Manch ein Gastraum war regelmäßiger Versammlungsort der vielen Burschenschaften Bonns.

    Um 1900 herum hatte sich das noch lange nicht geändert. Im Gegenteil. Mit den besseren Verkehrsmitteln trafen noch mehr Gäster in der reichen Stadt am Rhein ein. Jetzt liefen tagaus, tagein die Vergnügungsreisenden durch die alte Straße. Wer vom Bahnhof zu den Landungsstegen wollte, vom Schiff auf den Zug zu wechseln hatte, kam hier vorbei, hielt ehrfürchtig vor der Nummer sieben – dem Wohnhaus der Familie Beethoven – inne, summte womöglich die Fünfte Sinfonie und eilte weiter dem nächsten Ziel zu, sicherlich froh, die malerische Straße bewundern zu dürfen, ohne in ihr leben und arbeiten zu müssen.

  • Die Villen der Bonner Gründerzeit

    Die Villen der Bonner Gründerzeit

    Rund um die Poppelsdorfer Allee, die auf das Kurfürstliche Lustschloss und den Botanischen Garten zuführte, entstanden zum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Straßen. Wo sich bislang ein Wanderpfad hoch zum Venusberg schlängelte oder auf kaum befestigten Wegen Bauern ihre Waren in die Stadt fuhrwerkten, wurde nun Wohnraum geschaffen für die neu hinzuziehenden Rentiers, die Professoren und Gelehrten, die reicher werdenden Geschäftsleute und Fabrikanten. Auch den niedrigen Adel, Angehörige des in Bonn reichlich vertretenen Militärs und vornehme, ältere Fräulein zog es hierher. Wer sein gutes Auskommen hatte, baute hier oder zog als Mieter in die prachtvollen Neubauten. War man Millionär oder stand der Kaiserfamilie nahe, bevorzugte die Nähe zum Rhein – so blieb man in der Südstadt weitestgehend gut bürgerlich unter sich.

    Mehr oder weniger unter sich. Denn ein solch feiner Haushalt benötigte Personal. Personal, dem es unter demselben Dach deutlich schlechter ging als dem Besitzer des Hauses. Ein kleines Kämmerlein unterm Dach immerhin erhielten die meisten Dienstmädchen in Bonn; Hängeböden wie in Berlin waren eine Seltenheit. Eine solche Kammer aber unterschied sich in jeder Hinsicht von den Prachträumen des Hausherrn und seiner Familie, die darauf ausgerichtet waren, Wohlstand und Gesinnung zu repräsentieren.

    Sicher, es gab Unterschiede auch unter den Besitzern und Bewohnern dieser Villen, manch einer musste Mieter mit ins Haus nehmen und auf Annehmlichkeiten wie einen Wintergarten, einen Dienstbotenanbau und Badezimmer verzichten; die Breite der Innentreppe, die Ausstattung der Räume und die Gestaltung der Fassade hingen sehr vom verfügbaren Vermögen ab, doch wer sich den Bau eines Hauses in der bevorzugten Gegend des höheren Bürgertums leisten konnten, unterwarf sich willig den Ansprüchen, die an ein solches gestellt wurden; Individualität war nicht gern gesehen. Hohe Decken, stuckverziert, tapezierte Wände, dunkles, gerne schwarz lackiertes Holz, Parkett überall und Räume, die nur genutzt wurden, um Besuch zu empfangen – das waren die Gemeinsamkeiten der hier errichteten Gebäude. Die Unterschiede waren dennoch augenfällig: Breite und Höhe des Hauses, Vorgarten, Fassadengestaltung, Zimmeranzahl und Dienstbotenkammern bewegten sich zwischen relativ bescheiden und ausgesprochen eindrucksvoll.

    Eine weitere Gemeinsamkeit war die Art der Einrichtung: Dazu befolgte die gute Hausfrau und perfekte Gastgeberin alle Gebote an Möblierung und Dekor, wie sie in sämtlichen Zeitungen und Damenbrevieren notiert wurde. Selbst in kleinbürgerlichen Familien stopfte man die Zimmer voll mit Unmengen an Stoff – überbodenlange Gardinen, gestapelte Kissen auf jeder Sitzgelegenheit, gehäkelte Untersetze, Schonbezüge, Wandbehänge – und noch mehr Zierkram. Nippes jeder Art zeigte, was man sich leisten konnte: Nicht nur den Erwerb unzähliger Engel, Schäferinnen und niedlicher Porzellantierchen, sondern auch die Zeit, all das täglich zu entstauben.

    Was in den hochherrschaftlichen Häusern Poppelsdorf den Dienstmädchen die Arbeit noch saurer machte, als sie schon war. Bis aller Zierat angehoben, gesäubert und an seinen Platz gestellt war, bis sämtliche Gardinen täglich (!) abgebürstet und die Überlänge in der gewünschten Form am Boden drapiert lag, verging Zeit, die an anderer Stelle fehlte. Dennoch strebten die meisten von ihnen eine Anstellung in solch einem vornehmen Haus an, weil sie sich mehr Ansehen und – dank der modernen Ausstattung mit Speiseaufzügen, Gas- und Elektroanschlüssen – bequemeres Arbeiten erhofften.

    Bestimmt spielte auch das schöne Umfeld eine Rolle, das Bonns Ruf als Pensionärs- und Gartenstadt begründete. Kaum ein Haus, das nicht wenigstens einige Meter Garten besaß, kaum eine Straße, in der nicht Bäume Schatten spendeten. Hier herrschte – an Sonntage zumindest – Ruhe und Anstand, hier flanierten Touristenr respektvoll schweigend, hier hier brüllten keine Marktfrauen durcheinander und Studenten torkelten nur selten betrunken vorbei. Hier lebten Fabrikanten, Professoren, Rentner, die nicht mehr oder noch nie hatten arbeiten müssen. Hier zeigte sich das Selbstbewusstsein des Großbürgertums, das sich selbst als das eigentliche Rückgrat des Reiches ansah und bei der Gestaltung seiner Häuser Anleihen nahm an den aristokratischen Palästen vergangener Zeiten. Deshalb wohl auch die Ansiedlung an den Kurfürstlichen Anlagen.

    Ein Nachteil dürfte in den Jahren zwischen 1890 und 1910 vor allem die enorme Bautätigkeit gewesen sein; so ruhig und anständig man war, so laut wurde gehämmert und gesägt, um den Hinzuziehenden noch mehr Luxus und Bequemlichkeit zu schaffen. Über einen langen Zeitraum waren die Gehwege verschmutzt und manch ein schöner Ausblick, über den man sich gefreut hatte, wurde verbaut. Das Endergebnis allerdings war ein Viertel, in dem sich prächtige Bauten harmonisch einfügen in das Grün der Alleen und Gärten. Damit warb die Stadt eifrig um neue Bürger – wo sonst fand man alles, was man sich wünschte? Exakt listete der Handels- und Gewerbeverein der Stadt in Werbebroschüren auf, wie bekömmlich das Klima sei, wie vielfältig man sich die Zeit vertreiben könne und wie günstig es sich hier leben ließe. Auch die Kosten für ein Dienstmädchen werden genannt, die deutlich niedriger sind als die Miete für eine einfache Dreizimmerwohnung.

  • Das Bonn der Jahrhundertwende

    Das Bonn der Jahrhundertwende

    Das Projekt, für das ich mit ganz viel Glück das Stipendium von Neustart Kultur erhalten habe, bringt mich dazu, ganz tief einzusteigen in die Recherche; bislang habe ich ein kleines Vermögen für antiquarische Bücher, Schriften und Magazine ausgegeben, die größtenteils aus den Jahren 1890-1910 stammen.

    Das erste Thema war das Leben der Dienstboten in dieser Zeit, wobei die männlichen Hausangestellten zu vernachlässigen sind; sie stellten keine zehn Prozent mehr. Es waren vor allem junge Frauen, Mädchen sogar, die in diesem Bereich tätig waren. Aber dazu gerne ein anderes Mal mehr.

    Das zweite Thema ist meine Heimatstadt, in der Hedwigs Geschichte zum Großteil spielt. Es ist ein Bonn, das sehr, sehr anders aussah als das, was wir heute kennen. Natürlich gibt es einige Plätze und Straßen, in denen wir noch eine gute Vorstellung davon haben, wie es damals aussah, aber wenn es um die Altstadt geht, die vom heutigen Bertha-von-Suttner-Platz bis zur Beethovenhalle auf der einen Seite und dem Alten Zoll auf der anderen Seite reichte, dann finden wir so gut wie nichts mehr vor, was es damals noch gab. Das liegt nicht nur an dem großen Bombenangriff 1944, der diesen Bereich fast komplett zerstört hat, sondern auch an der regen Bau- und Modernisierungstätigkeit während der Gründerjahre.

    Wie wäre es mit einigen Fakten?

    Bonn war um 1900 eine der reichsten Städte in Preußen: Das für die Steuer geschätzte Vermögen der Einwohner lag bei 514,6 Millionen Mark – das wären heute etwa 3,6 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu: Bochum war größer und hatte mehr Industrie im Stadtgebiet, doch hier lag das steuerliche Gesamtvermögen bei nur 116,4 Millionen. In Bonn lebten zur Jahrhundertwende etwa 80 Millionäre, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs erhöhte sich diese Zahl auf über 150, wobei vermutet wird, dass es zumindest 200 gewesen sein dürften – auch damals mauschelten manche ganz ordentlich, wenn es um die Steuer ging.

    Doch nicht nur Millionäre sorgten für den Reichtum der Stadt; im Schnitt lag das Jahreseinkommen in Bonn bei knapp 5.000 Mark, im Berlin zum Vergleich bei nur 2850. Bonn war bei Rentiers – also Personen, die nicht mehr arbeiten mussten und dennoch genug Geld zum Leben besaßen, egal welchen Alters – sehr beliebt. Das milde Klima, die schöne und romantische Landschaft, die sehr gute Universität und die vielen Hotels, Restaurants, Kneipen und Kaffeehäuser luden zum Verreisen und Bleiben ein.

    Dazu warb die Stadt intensiv um neue, vermögende Bürger. Erfolgreich, denn im wilhelminischen Preußen war es dem Großbürgertum, dem Adel und allen, die aufsteigen wollten, sehr daran gelegen, in der Nähe des Kaisers zu sein. Und der war mitsamt seinen Söhnen gerne und oft in Bonn, wo man ihm vielleicht leichter über den Weg laufen konnte, zumal Prinzessin Friederike Amalia Wilhelmine Viktoria von Preußen, verheiratete Schaumburg-Lippe und Schwester des zweiten Wilhelms, in Bonn lebte. Sie liebte Bonn und war ihrerseits bei der Bevölkerung sehr beliebt.
    Um das Palais Schaumburg hatten sich einigen Paläste und Herrschaftsvillen angesammelt, aber ebenso fand sich inmitten diese Viertels die Porzellanfabrik Mehlem – was für Bonn seltsam typisch war. Adel, Reichtum, Glanz und Industrie eng an eng unmittelbar am Rhein gelegen, das ging ziemlich lang ziemlich gut.
    (Sowohl Viktoria wie auch die Porzellanfabrik haben mich schon einmal beschäftigt – siehe Der letzte Tanz für Viktoria und Zoubkoff, ihrem zweiten Mann, und Der Tod im Aktenschrank für die Porzellanfabrik).

    Der technische Fortschritt war in Bonn über Jahre hinweg flott unterwegs; auch das brachte sicherlich neue Bürger und Bürgerinnen mit genügend Geld, das in den vielen guten Geschäften rund um Markt- und Münsterplatz leicht ausgegeben werden konnte.
    Auch die Universität, die Städtischen Schulen mit neuen Lehransätzen und die vielen, vielen Töchterpensionate lockten erfolgreich immer mehr Einwohner und Einwohnerinnen indie Stadt am Rhein; entsprechend wurde gebaut, abgerissen, neu gebaut – man war oft leicht dabei, mittelalterliche Gebäude aufzugeben, wozu sicherlich die mitunter prekäre Wohnsituation der Ärmsten beitrug: In vielen Teilen der alten Stadtmauer und in einigen der Türme und Ruinen lagen einfache Räume, kalt, feucht und zugig, in denen diejenigen hausten, die nicht vom Fortschritt profitierten.

    Was allerdings sehr vielen Bonnern und Bonnerinnen am Herzen lag. Es gab einige Vereine, die sich um ledige Mütter, gefallene Mädchen, versehrte Veteranen, Waisen, Witwen und wer immer sonst in eine Notlage geraten war, kümmerten. (Hier darf gerne nach Berta Lungstras gegooglet werden, die mit ihrem Tun Schule machte.)
    Auch der Rat der Stadt Bonn ging das Problem der sozialen Gerechtigkeit an. Etwa 10% des Etats gingen ins Sozialwesen, was im Vergleich zu späteren Jahrzehnten zwar gering erscheint, doch im Vergleich zu anderen preußischen Stadten mit mehr Unterstützungsempfängern beträchtlich war. Da hier weniger Bedürftige lebten, kamen ihnen diese Zuwendungen spürbar zugute. Es wurde mit dem Geld für die Ausgabe sehr billiger Kohle gesorgt und ebenso wurden für die Armen die Kosten für Grundlebensmittel niedrig gehalten, es wurden Obdachlosenasyle, Mütterberatungsstellen und alle möglichen Anstalten für Gesundheit und Erholung eingerichtet, sogar an die Ferien für Kinder und Jugendliche wurde gedacht.

    Die Stadt Bonn entwickelte sich also prächtig, was sich schlagartig mit dem Beginn des Krieges endete. Woran um 1900 noch nicht zu denken war; man war durchaus kosmopolitsch, war man doch das Ziel viel Reisender; besonders aus England kamen viele Touristen, die das Rheinpanorama zu sehen wünschten und den Spuren einiger bekannter Schriftsteller folgten. (So zum Beispiel auch die Caradocs, die Queen Victorias Reiseroute folgten in Das Geheimnis der Brüder Tengye). In diese Stadt also zieht es auch Hedwig Vianden, um als Dienstmädchen ein neues Leben zu beginnen.
    Im Augenblick bin ich dabei, die Rheingasse zu rekonstruieren. Mit der heutigen Straße hat sie nur noch den Namen und die ungefähre Lage gemein; um 1900 war die Gasse ein lebendiger Mittelpunkt. Aber dazu werde ich demnächst mehr erzählen – zum einen im Roman, zum anderen hier mit einigen Bildern.